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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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vor Juliettes Attacke beschützt hatte. Ich hatte den Baum damals seiner Lebenskraft beraubt, um Matthew zu retten.
    »Warum ist er nicht silbern?«, fragte Matthew und legte die Hände um den zerbrechlichen Glaskolben.
    »Weil ich Dianas Blut verwendet habe«, antwortete Mary. Matthew richtete sich auf und sah mich fassungslos an.
    »Sieh ihn dir an«, sagte ich und deutete auf den blutenden Feuerdrachen an der Wand.
    »Es ist der grüne Drache – das Symbol für aqua regia oder aqua fortis «, sagte er nach einem flüchtigen Blick.
    »Nein, Matthew. Sieh ihn dir an . Vergiss, was er deiner Meinung nach symbolisiert, und versuch ihn so zu sehen, als hättest du ihn noch nie gesehen.«
    »Dieu.« Matthew klang erschrocken. »Sind das meine Insignien?«
    »Ja. Und ist dir aufgefallen, dass der Drache den Schwanz im Maul trägt? Und dass es gar kein gewöhnlicher Drache ist? Die haben vier Beine. Das hier ist ein Feuerdrache.«
    »Ein Feuerdrache. Wie …« Matthew fluchte leise.
    »Es gibt die unterschiedlichsten Theorien darüber, welche gewöhnliche Substanz die entscheidende erste Zutat darstellt, um den Stein der Weisen herzustellen. Roger Bacon – der einst Dr. Dees vermisstes Manuskript besaß – meinte, es sei Blut.« Ich war zuversichtlich, dass mir diese Bemerkung Matthews Aufmerksamkeit sichern würde. Ich ging in die Hocke und betrachtete den Baum genauer.
    »Du hast also das Wandgemälde gesehen und bist deinem Instinkt gefolgt.« Matthew überlegte kurz, fuhr dann mit dem Daumen über das Wachssiegel auf der Kolbenöffnung und brach es. Mary schnappte entsetzt nach Luft und sah ihr Experiment schon ruiniert.
    »Was tust du da?«, fragte ich entsetzt.
    »Ich folge einer eigenen Eingebung und gebe noch etwas in den Kolben.« Matthew hob sein Handgelenk an seinen Mund, biss zu und hielt es dann über die schmale Öffnung. Sein dunkles, dickes Blut tropfte in die Lösung und breitete sich am Boden des Gefäßes aus. Wir starrten in das Gefäß.
    Gerade als ich glaubte, dass überhaupt nichts geschehen würde, begannen dünne rote Striemen am nackten Stamm des Baumes emporzuklettern. Dann sprossen goldene Blätter aus den Ästen.
    »Sieh dir das an«, sagte ich staunend.
    Matthew lächelte mich an. In seinem Lächeln lag ein Hauch von Traurigkeit, aber auch Hoffnung.
    Zwischen den Blättern erschienen rote, wie kleine Rubine funkelnde Früchte. Mary begann mit großen Augen ein Gebet zu murmeln.
    »Mein Blut hat den Baum wachsen lassen, und dein Blut lässt ihn Früchte tragen«, stellte ich nachdenklich fest. Meine Hand kam auf meinem leeren Unterleib zu liegen.
    »Ja. Aber warum?«, fragte Matthew.
    Falls überhaupt etwas Aufschluss über die mysteriösen Transformationen geben konnte, die sich vollzogen, sobald sich das Blut einer Hexe mit dem eines Wearh vereinte, dann waren es die merkwürdigen Bilder und der mysteriöse Text in Ashmole 782 .
    »Wie lange dauert es noch mal, Dees Buch zurückzubringen?«, fragte ich Matthew.
    »Ach, nicht allzu lange, glaube ich«, murmelte er. »Nicht wenn ich es mir erst einmal in den Kopf gesetzt habe.«
    »Je eher, desto besser«, sagte ich und verschränkte meine Finger mit seinen, während wir einträchtig das Wunder betrachteten, das unser vermengtes Blut zuwege gebracht hatte.

25
    D er merkwürdige Baum wuchs und blühte noch den ganzen nächsten und übernächsten Tag: Die Früchte reiften und fielen in das Quecksilber und die prima materia , in denen der Baum wurzelte. Neue Knospen bildeten sich, wurden größer und erblühten. Einmal am Tag verfärbten sich die goldenen Blätter grün und wurden dann wieder golden. Manchmal setzte der Baum neue Äste an, oder eine neue Wurzel reckte sich über den Boden, um ihm Halt zu geben. »Ich habe immer noch keine Erklärung dafür gefunden«, sagte Mary und deutete auf den Stapel von Büchern, die Joan aus den Regalen gezogen hatte. »Man könnte meinen, wir hätten etwas ganz Neues erschaffen.«
    Trotz der Ablenkungen durch die Alchemie hatte ich meine Hexenbelange nicht vergessen. Stets aufs Neue webte ich meinen grauen Umhang der Unsichtbarkeit und löste ihn wieder auf, und jedes Mal wurde ich schneller, und die Resultate wurden feiner und wirksamer. Marjorie versprach mir, dass ich mein Weben schon bald in Worte würde kleiden können, sodass andere Hexen meinen Zauber nachahmen konnten.
    Ein paar Tage darauf spazierte ich von St. James Garlickhythe nach Hause und warf, während ich noch die Treppe zu unseren

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