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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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wie Rudolf wichtige Besucher düpiert hatte, nur weil er stundenlang mit einem Buchantiquar aus Italien oder einem schlichten Minenarbeiter aus Sachsen geplaudert hatte.
    Es war der erste Frühlingstag, und das Haus füllte sich bereits am Spätnachmittag mit dem heimeligen Duft von Schweinebraten mit Knödeln, als mich ein hagerer Achtjähriger umzuwerfen versuchte.
    »Mistress Roydon!«, krähte Jack, den Kopf in meinem Mieder vergraben und die Arme um meinen Leib geschlungen. »Wusstet Ihr, dass Prag eigentlich vier Städte in einer ist? London ist nur eine Stadt. Und es gibt hier eine Burg und einen Fluss. Pierre will mir morgen die Wassermühle zeigen.«
    »Hallo, Jack«, begrüßte ich ihn und strich ihm übers Haar. Selbst auf der kräftezehrenden, eisigen Reise nach Prag war er in die Höhe geschossen. Bestimmt hatte Pierre ihm alles in den Rachen geschaufelt, was er an Essbarem aufgetrieben hatte. Ich sah auf und lächelte Annie und Pierre an. »Matthew wird sich so freuen, dass ihr endlich hier seid. Er hat euch vermisst.«
    »Wir haben ihn auch vermisst«, sagte Jack und legte den Kopf in den Nacken, um zu mir aufzusehen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und obwohl er gewachsen war, wirkte er ausgezehrt.
    »Warst du krank?«, fragte ich und legte ihm die Hand auf die Stirn. In diesem harten Klima konnte eine einfache Erkältung todbringend sein, und man sprach zurzeit von einer hässlichen Epidemie in der Altstadt, bei der es sich laut Matthew um eine Grippewelle handelte.
    »Er schläft in letzter Zeit schlecht«, sagte Pierre ruhig. Sein ernster Tonfall verriet mir, dass das nicht alles war, aber das konnte noch warten.
    »Also, heute Abend wirst du bestimmt gut schlafen. In deinem Zimmer steht ein riesiges Federbett. Geh mit Tereza, Jack. Sie zeigt dir, wo deine Sachen sind, und hilft dir vor dem Abendessen beim Waschen.« Um die Vampiretikette zu wahren, würden die Warmblüter im zweiten Stock bei mir und Matthew schlafen. Das Haus war so schmal, dass im Erdgeschoss nur Platz für die Küche und einen Haushaltsraum war, was bedeutete, dass der erste Stock den Empfangsräumen vorbehalten war. Die übrigen Vampire im Haus hatten den luftigen dritten Stock mit Beschlag belegt, wo man den Blick schweifen lassen konnte und sich die Fenster dem Ansturm der Elemente öffnen ließen.
    »Master Roydon!«, jubelte Jack, stürmte zur Tür und riss sie auf, ehe Tereza ihn aufhalten konnte. Wie er Matthew entdeckt hatte, war mir ein Rätsel, schließlich war es schon dunkel, und Matthew war von Kopf bis Fuß in schiefergraue Wolle gehüllt.
    »Langsam«, lachte Matthew und fing Jack ab, bevor er mit dem Kopf gegen die harten Vampirbeine schlagen und sich eine Beule holen konnte. Gallowglass zupfte dem Jungen die Kappe vom Kopf, als er an ihm vorbeigerannt kam, und wuschelte ihm durchs Haar.
    »Wir sind fast erfroren. Im Fluss. Und einmal ist der Schlitten umgekippt, aber dem Hund ist nichts passiert. Und ich hab Wildschwein vom Spieß gegessen. Und Annies Rock ist ins Wagenrad gekommen, und sie wäre fast aus der Kutsche gefallen.« Die Reiseerlebnisse sprudelten nur so aus Jack heraus. »Ich hab einen Stern mit Schweif gesehen. Er war nicht besonders groß, aber Pierre hat gesagt, ich muss Master Harriot davon erzählen, wenn wir wieder zu Hause sind. Ich habe ein Bild für ihn gemalt.« Jacks Hand verschwand in seinem verdreckten Wams und kam mit einem genauso verdreckten Blatt Papier wieder heraus. Er präsentierte es Matthew mit einer Ehrfurcht, die man einer heiligen Reliquie erweist.
    »Das hast du gut getroffen.« Matthew studierte die Zeichnung mit angemessenem Interesse. »Mir gefällt, wie du den Schweif gebogen hast. Und du hast die anderen Sterne drumherum gezeichnet. Das war sehr klug, Jack. Master Harriot ist bestimmt sehr zufrieden mit deiner Beobachtungsgabe.«
    Jack errötete. »Aber es war mein letztes Blatt. Gibt es in Prag auch Papier?« In London war Matthew dazu übergegangen, Jack jeden Morgen eine Handvoll Zettel in die Hand zu drücken. Was Jack damit anstellte, blieb sein Geheimnis.
    »Die Stadt schwimmt in Papier«, versicherte ihm Matthew. »Morgen geht Pierre mit dir in den Laden hier auf der Kleinseite.«
    Nach diesem aufregenden Versprechen wollten die Kinder keinesfalls in ihre Zimmer verschwinden, aber wie sich herausstellte, besaß Tereza die richtige Mischung aus Milde und Nachdruck, um sie doch noch nach oben zu schaffen. Damit hatten die vier Erwachsenen Gelegenheit, sich

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