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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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offen auszutauschen.
    »War Jack krank?«, fragte Matthew Pierre ernst.
    »Nein, Milord. Seit wir losgefahren sind, hat er schlecht geschlafen.« Pierre zögerte. »Ich glaube, ihm setzt das Böse zu, das er früher erlebt hat.«
    Matthews Stirn glättete sich wieder, aber er wirkte immer noch besorgt. »Aber ansonsten verlief die Reise wie erwartet?« Damit erkundigte er sich indirekt, ob sie von Banditen überfallen oder von nichtmenschlichen oder magischen Wesen belästigt worden waren.
    »Sie war lang und kalt«, antwortete Pierre knapp. »Und die Kinder hatten ständig Hunger.«
    Gallowglass lachte bellend. »Das kann ich mir gut vorstellen.«
    »Und Ihr, Milord?« Pierre sah Matthew von der Seite an. »Entspricht Prag Euren Erwartungen?«
    »Ich wurde noch nicht zum Kaiser vorgelassen. Wie man hört, hockt Kelley direkt unter dem Dach des Pulverturms und jagt Glaskolben und was weiß ich in die Luft«, berichtete Matthew.
    »Und in der Altstadt?«, erkundigte Pierre sich vorsichtig.
    »Ist alles mehr oder weniger wie immer«, sagte ihm Matthew knapp und leichthin – ein todsicheres Anzeichen dafür, dass ihm etwas auf der Seele brannte.
    »Solange man den Klatsch ignoriert, der im jüdischen Viertel kursiert. Einer ihrer Hexenmeister hat ein Lehmwesen erschaffen, das bei Nacht durch die Straßen zieht.« Gallowglass sah seinen Onkel mit Unschuldsmiene an. »Abgesehen davon ist es fast wie damals, als wir 1547 hier waren und Kaiser Ferdinand halfen, die Stadt einzunehmen.«
    »Danke, Gallowglass«, sagte Matthew. Sein Tonfall war eisig wie der Wind, der vom Fluss heraufwehte.
    Bestimmt brauchte es mehr als nur einen gewöhnlichen Zauberspruch, um eine Kreatur aus Lehm zum Leben zu erwecken und sie in Bewegung zu setzen. Diese Gerüchte konnten nur eines bedeuten: In Prag lebte eine Weberin wie ich, eine, die sich zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten bewegen konnte. Aber ich brauchte Matthew gar nicht auf sein Geheimnis anzusprechen. Das übernahm schon sein Neffe.
    »Du hast doch nicht geglaubt, du könntest die Geschichte von dem Lehmwesen vor Tantchen geheim halten?« Gallowglass schüttelte ungläubig den Kopf. »Du verbringst viel zu wenig Zeit auf dem Markt. Die Frauen auf der Kleinseite wissen alles, sogar was der Kaiser zum Frühstück isst und dass er dich nicht sehen will.«
    Matthew fuhr mit dem Finger über die bemalte Holzfläche des Triptychons und seufzte. »Du wirst das in die Burg bringen müssen, Pierre.«
    »Aber das ist das Altarbild aus Sept-Tours«, protestierte Pierre. »Der Kaiser ist für seine Vorsicht berühmt. Bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis er Euch vorlässt.«
    »Zeit ist das Einzige, was uns fehlt – und die de Clermonts besitzen unzählige Altarbilder«, erklärte Matthew ihm bedauernd. »Lass mich nur schnell ein Schreiben an den Kaiser aufsetzen.«
    Wenig später schickte Matthew Pierre mit dem Bild los. Sein Diener kehrte genau wie Matthew mit leeren Händen und ohne Aussicht auf eine baldige Audienz zurück.
    Um mich herum verkürzten und strafften sich die Stränge, die die Welten verbanden, zu einem Gewebe, das viel zu unübersichtlich war, als dass ich es überblicken oder verstehen konnte. Aber etwas braute sich in Prag zusammen. Das spürte ich.
    In jener Nacht erwachte ich von leisem Gemurmel im Raum neben unserer Schlafkammer. Matthew lag nicht mehr lesend neben mir, wie er es getan hatte, als ich eingeschlafen war. Ich tappte zur Tür, um festzustellen, wer bei ihm war.
    »Erzähl mir, was passiert, wenn ich das Gesicht dieses Monsters auf einer Seite schraffiere.« Matthews Hand flog über den großen Bogen Kanzleipapier, der vor ihm lag.
    »Dann sieht es aus, als wäre es weiter weg!«, flüsterte Jack ehrfürchtig angesichts der plötzlichen Verwandlung.
    »Jetzt versuch du es«, sagte Matthew und überließ Jack die Feder. Jack schob konzentriert die Zunge zwischen die Lippen und umfasste den Kiel. Matthew massierte mit einer Hand den Rücken des Jungen und entspannte damit den hageren Körper. Jack saß nicht direkt auf seinem Knie, sondern lehnte Schutz suchend am Rumpf des Vampirs. »So viele Monster«, murmelte Matthew und sah zu mir auf.
    »Willst du deine malen?« Jack schob das Papier zu Matthew hin. »Dann kannst du vielleicht auch schlafen.«
    »Deine Monster haben meine verjagt«, sagte Matthew und sah Jack mit ernster Miene an. Mir wurde das Herz schwer, wenn ich mir vorstellte, was der Junge in seinem kurzen Leben alles

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