Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
Vom Netzwerk:
sein.«
    »Warum nicht? Haben Sie Angst, dass ich mich erkälte und mir den Tod hole?« Plötzlich schlug Sarahs Stimme vor Schmerz um, und sie krümmte sich wie vom Blitz getroffen. »Die Göttin steh mir bei, ich vermisse sie so. Sagen Sie mir, dass ich das alles nur träume. Sagen Sie mir, dass Emily noch am Leben ist.«
    »Das ist kein Traum«, widersprach Ysabeau so sanft, wie sie nur konnte. »Wir vermissen sie alle. Ich weiß, wie die Leere schmerzt, Sarah.«
    »Und dass sie irgendwann vergeht«, ergänzte Sarah matt.
    »Nein, das wird sie nicht.«
    Ysabeaus vehementer Widerspruch kam so überraschend, dass Sarah aufblickte.
    »Ich verzehre mich jeden einzelnen Tag nach Philippe. Sobald die Sonne aufgeht, ruft mein Herz nach ihm. Ich lausche nach seiner Stimme, und Stille antwortet mir. Ich verzehre mich nach seiner Berührung. Und wenn die Sonne untergeht, bleibe ich mit dem Wissen zurück, dass mein Gefährte diese Welt verlassen hat und ich ihn nie wiedersehen werde.«
    »Wenn Sie damit erreichen wollen, dass ich mich besser fühle, haben Sie versagt«, erklärte Sarah unter Tränen.
    »Emily ist gestorben, damit Sophies und Nathaniels Kind überleben kann. Alle, die zu ihrem Tod beigetragen haben, werden dafür bezahlen, das verspreche ich. Die de Clermonts sind sehr gut darin, Rache zu üben, Sarah.«
    »Und wenn ich mich räche, werde ich mich besser fühlen?« Sarah blinzelte unter Tränen.
    »Nein. Aber zu beobachten, wie Margaret zur Frau heranwächst, wird Ihnen helfen. Genau wie das hier.« Ysabeau ließ den Artikel in den Schoß der Hexe fallen. »Diana und Matthew kommen heim.«

Sechster Teil
    Neue Welt,
Alte Welt

41
    M eine Versuche, von der Vergangenheit aus die Old Lodge zu erreichen, blieben fruchtlos. Ich konzentrierte mich darauf, wie es dort aussah und roch, und sah auch die Stränge, die Matthew und mich mit dem Haus verbanden – in Braun und Grün und Gold. Aber sie glitten mir immer wieder aus den Fingern.
    Also versuchte ich es mit Sept-Tours. Die Stränge, die dorthin führten, waren in Matthews unverkennbarem Gemisch aus Rot und Schwarz gefärbt, durchschossen mit Silber. Ich stellte mir das Haus voller vertrauter Gesichter vor – Sarah und Em, Ysabeau und Marthe, Marcus und Miriam, Sophie und Nathaniel. Aber auch dieser sichere Hafen entzog sich mir immer wieder.
    Die aufsteigende Panik nach Kräften unterdrückend, suchte ich unter Hunderten von Möglichkeiten nach einem anderen Ziel. Oxford? Die U-Bahn-Station Blackfriars im modernen London? St. Paul’s Cathedral?
    Aber immer wieder kehrten meine Finger zu jenem einen Strang im Gewebe der Zeit zurück, der sich nicht glatt und seidig, sondern hart und rau anfühlte. Ich tastete mich daran entlang und stellte fest, dass es sich nicht um einen Strang, sondern um die Wurzel eines Baumes handelte. Sobald ich das erkannt hatte, stolperte ich wie über eine unsichtbare Schwelle und purzelte in die Wohnstube unseres Hauses in Madison.
    Daheim. Ich landete auf Händen und Knien, die verknoteten Schnüre zwischen meine Handflächen und den Boden gepresst. Jahrhundertelanges Bohnern und unzählige Füße hatten die breiten Kieferndielen geglättet. Sie fühlten sich vertraut an, ein Garant für Beständigkeit in einer sich stetig wandelnden Welt. Ich blickte auf und erwartete schon halb, meine Tanten im vorderen Zimmer sitzen zu sehen. Ich hatte so leicht nach Madison zurückgefunden, dass ich unwillkürlich annahm, sie hätten mich geführt. Aber die Luft hing still und leblos in den Räumen, so als hätte seit Halloween niemand mehr sie gestört. Nicht einmal die Geister schienen zu Hause zu sein.
    Matthew kniete neben mir, immer noch bei mir untergehakt und mit zitternden Muskeln nach dem anstrengenden Weg durch die Zeit.
    »Sind wir allein?«, fragte ich ihn.
    Er sog den Duft des Hauses auf. »Ja.«
    Seine leise Antwort schreckte das Haus aus dem Schlaf, und schlagartig wirkte die eben noch so flache, leblose Atmosphäre bedrückend und unheimlich. Matthew sah mich an und lächelte. »Deine Haare. Sie sind schon wieder anders.«
    Ich wandte den Kopf und stellte fest, dass die rotblonden Locken, an die ich mich so gewöhnt hatte, glatten, seidigen Strähnen gewichen waren, die in einem hellen Rotblond glänzten – so wie bei meiner Mutter.
    »Das ist das Zeitwandeln.«
    Das Haus knarrte und stöhnte. Ich spürte, dass es Kraft für einen Ausbruch sammelte.
    »Es sind nur ich und Matthew.«
    Das hatte beschwichtigend klingen sollen,

Weitere Kostenlose Bücher