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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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aber meine Stimme war eigenartig akzentuiert und hart. Das Haus erkannte sie trotzdem, und ein erleichtertes Seufzen ging durch den Raum. Durch den Kamin wehte eine Brise herab, die ein ungewöhnliches Duftgemisch von Kamille und Zimt zu uns trug. Nach einem kurzen Blick über die Schulter zum Kamin und den aufgerissenen Wandpaneelen links und rechts davon rappelte ich mich auf.
    »Was zum Teufel ist das?«
    Ein Baum war aus dem Kaminrost gewachsen. Der schwarze Stamm füllte den Kaminschacht aus, und die Äste hatten sich durch den Stein und die ihn umgebende Holzvertäfelung gebohrt.
    »Er sieht aus wie der Baum in Marys Destillierkolben.« Matthew ging mit seiner schwarzen Samthose und seinem bestickten Leinenhemd vor dem Kamin in die Hocke. Seine Finger strichen über einen winzigen Silberklumpen in der Rinde. Genau wie bei mir hörte sich seine Stimme fehl am Platz und fehl in der Zeit an.
    »Das sieht aus wie dein Pilgerzeichen.« Die Umrisse des Lazarussarges waren kaum auszumachen. Ich trat zu ihm, und mein voller schwarzer Rock schabte über den Boden.
    »Ich glaube, das ist wirklich mein Pilgerzeichen. Die Ampulle hatte zwei vergoldete Hohlräume für das Weihwasser. Bevor ich aus Oxford weggegangen bin, habe ich den einen mit meinem und den anderen mit deinem Blut gefüllt.« Matthew sah mir in die Augen. »Ich wollte dein Blut immer bei mir tragen, weil ich dann das Gefühl hatte, dass nichts uns trennen kann.«
    »Es sieht so aus, als wäre die Ampulle großer Hitze ausgesetzt worden und dabei zur Hälfte geschmolzen. Falls die Innenseite der Ampulle vergoldet war, dann wurden zusammen mit dem Blut Spuren von Quecksilber gelöst.«
    »Dieser Baum entstand also zum Teil aus den gleichen Ingredienzen wie Marys Arbor Dianae .« Matthew blickte in das kahle Geäst auf.
    Der Duft nach Kamille und Zimt verstärkte sich. Der Baum begann zu blühen – aber er trug weder Blüten noch Früchte. Stattdessen sprossen ein Schlüssel und ein einzelnes Pergamentblatt aus den Zweigen.
    »Es ist die Seite aus dem Manuskript«, sagte Matthew und pflückte sie ab.
    »Das bedeutet, dass das Buch im 21. Jahrhundert immer noch beschädigt ist. Nichts, was wir in der Vergangenheit unternommen haben, hat etwas daran geändert.« Ich atmete kurz durch, um mich zu beruhigen.
    »Dann spricht alles dafür, dass Ashmole 782 sicher in der Bodleian Library liegt«, sagte Matthew. »Das hier sind Autoschlüssel.« Er zupfte sie von einem Zweig. Monatelang hatte ich bei dem Wort Reise ausschließlich an Pferde oder Schiffe gedacht. Ich sah aus dem Fenster, aber dort stand nichts. Matthews Blick folgte meinem.
    »Marcus und Hamish haben bestimmt dafür gesorgt, dass wir nach Sept-Tours gelangen, ohne sie um Hilfe bitten zu müssen. Wahrscheinlich stehen überall in Europa und Amerika für den Fall der Fälle Autos für uns bereit. Aber sie hätten sie nicht so hingestellt, dass man sie sehen kann«, fuhr Matthew fort.
    »Es gibt hier keine Garage.«
    »Die Scheune.« Matthews Hand rutschte automatisch an seine Hüfte, um den Schlüssel in die Hosentasche gleiten zu lassen, aber über derartige moderne Annehmlichkeiten verfügten seine Beinkleider nicht.
    »Ob sie wohl auch daran gedacht haben, Anziehsachen für uns zurückzulegen?« Ich strich über meine bestickte Jacke und die ausgreifenden Röcke, an denen immer noch der Staub der ungepflasterten Straßen im Oxford des 16. Jahrhunderts hing.
    »Das lässt sich feststellen.« Matthew ging mit dem Schlüssel und der Seite aus Ashmole 782 ins Familienzimmer und danach in die Küche.
    »Immer noch braun«, kommentierte ich nach einem Blick auf die karierte Tapete und den uralten Kühlschrank.
    »Immer noch dein Zuhause.« Matthew zog mich in seine Arme.
    »Nicht ohne Em und Sarah.« Verglichen mit dem riesigen Haushalt, in dem wir monatelang gelebt hatten, erschien mir meine moderne Familie zerbrechlich und klein. Hier gab es keine Mary Sidney, mit der ich an einem Gewitterabend meine Sorgen besprechen konnte. Weder Susanna noch Goody Alsop würden am Nachmittag auf einen Becher Wein vorbeischauen und mir bei meiner jüngsten Zauberformel helfen. Ich könnte mich nicht auf Annies fröhliche Hilfe verlassen, um aus meinem Korsett und meinen Röcken zu kommen. Mopp lief mir nicht zwischen den Füßen herum, genauso wenig wie Jack. Und wenn wir Hilfe brauchten, würde kein Henry Percy, ohne zu fragen oder zu zögern, herbeieilen. Ich schob die Hand um Matthews Taille, um mich seiner

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