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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Mann?«
    »Natürlich ist er hier«, erwiderte eine zweite Stimme, die in weichem walisischem Singsang tanzte. »Gebraucht Eure Nase. Wer sonst riecht wie ein reicher Pfeffersack, nachdem an den Docks frische Gewürze abgeladen wurden?«
    Im nächsten Moment traten zwei massige, in grobe braune Umhänge gehüllte Gestalten durch die Tür am anderen Ende des Saales, wo Kit und George mit ihren Würfeln und Büchern saßen. Zu meiner Zeit hätte jedes Football-Team die Neuankömmlinge vom Stand weg rekrutiert. Sie hatten überentwickelte Arme mit hervorstehenden Sehnen, dicke Handgelenke, feste, muskulöse Beine und breite Schultern. Als die Männer auf uns zukamen, fing sich das Kerzenlicht in ihren klaren Augen und tanzte auf den scharfen Klingen ihrer Waffen. Der eine war ein blonder Riese, der selbst Matthew überragte; der andere zehn Zentimeter kleiner und ein Rotschopf, der das linke Auge zusammenkniff. Beide waren keine dreißig Jahre alt. Der Blonde war sichtlich erleichtert, auch wenn er das sofort überspielte. Der Rotschopf war aufgebracht und hielt damit nicht hinter dem Berg.
    »Hier steckst du also. Du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt, einfach so zu verschwinden«, sagte der Blonde nachsichtig. Er blieb stehen und steckte sein langes, ungemein scharfes Schwert in die Scheide zurück.
    Walter und Henry senkten ebenfalls die Waffen. Sie erkannten die beiden.
    »Gallowglass. Warum bist du hier?«, fragte Matthew den blonden Krieger argwöhnisch und gleichzeitig verdattert.
    »Weil wir nach dir suchen, natürlich. Hancock und ich waren am Samstag mit dir zusammen.« Gallowglass’ eisigblaue Augen wurden schmal, als er darauf keine Antwort erhielt. Er sah aus wie ein Wikinger im Blutrausch. »In Chester.«
    »Chester.« In Matthews Miene zeichnete sich Entsetzen ab. »Chester!«
    »Aye. Chester«, wiederholte Hancock, der Rotschopf. Mit finsterer Miene schälte er sich die durchnässten Lederhandschuhe von den Armen und ließ sie vor dem Kamin auf den Boden fallen. »Als Ihr nicht wie vereinbart am Sonntag zu uns kamt, erkundigten wir uns nach Euch. Der Gastwirt erklärte ziemlich überrascht, Ihr wärt verschwunden, ohne die Rechnung zu begleichen.«
    »Er sagte, im einen Moment hättest du noch am Kamin gesessen und Wein getrunken, und im nächsten wärst du weg gewesen«, berichtete Gallowglass. »Die Magd – die Kleine mit den schwarzen Haaren, die nicht die Augen von dir lassen konnte – hat für einigen Wirbel gesorgt. Sie behauptete steif und fest, du wärst von Geistern entführt worden.«
    Ich schloss die Augen, denn in diesem Augenblick hatte ich begriffen. Der Matthew Roydon, der sich im Chester des 16. Jahrhunderts aufgehalten hatte, war verschwunden, weil er durch den Matthew ersetzt worden war, der aus dem Oxfordshire der Neuzeit hergereist war. Wenn wir verschwanden, würde der Renaissance-Matthew höchstwahrscheinlich wieder erscheinen. Die Zeit erlaubte es nicht, dass beide Matthews zur gleichen Zeit existierten. Wir hatten schon jetzt unbeabsichtigt den Verlauf der Geschichte verändert.
    »Es war der Abend vor Allerheiligen, darum klang ihre Geschichte weniger abwegig als an einem anderen Tag«, schloss Hancock und senkte den Blick auf seinen Umhang. Er schüttelte das Wasser aus den Falten und warf ihn über einen nahen Stuhl, woraufhin ein Duft nach Frühlingswiesen in die winterliche Luft aufstieg.
    »Wer sind diese Männer, Matthew?« Ich wollte auf die beiden zugehen, um sie mir genauer anzusehen. Er drehte sich um und legte die Hände auf meine Oberarme.
    »Freunde«, erklärte Matthew, aber seine Bemühungen, mich abzuhalten, weckten in mir Zweifel, ob er die Wahrheit sagte.
    »Nun denn. Ein Geist ist sie nicht.« Hancock spähte über Matthews Schulter, und mein Fleisch vereiste.
    Natürlich waren Hancock und Gallowglass Vampire. Welche andere Kreatur war schon so groß und gutaussehend?
    »Und sie kommt auch nicht aus Chester«, ergänzte Gallowglass nachdenklich. »Hat sie immer einen so strahlenden Glaem? «
    Ich mochte das Wort nicht kennen, trotzdem begriff ich, was es bedeutete. Ich schimmerte wieder. Manchmal kam es dazu, wenn ich wütend wurde oder mich auf ein Problem konzentrierte. Auch daran erkannte man Hexenkräfte, und vor allem Vampire mit ihren übernatürlich scharfen Augen nahmen das bleiche Leuchten wahr. Automatisch trat ich in Matthews Schatten, um nicht aufzufallen.
    »Das wird Euch nicht helfen, Lady. Unser Gehör ist so scharf wie unser Blick.

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