Wo die Nacht beginnt
»Und alle weiteren Besuche im Dorf werden unterbleiben, Kit.«
»Sie erschien am Abend vor Allerheiligen, just als die Ankunft einer schrecklichen Hexe prophezeit war. Begreift Ihr denn nicht? Cecil muss von ihr erfahren. Sie stellt eine Gefahr für die Königin dar.«
»Still, Kit«, warnte Henry und zupfte ihn am Arm.
»Mich bringt Ihr nicht zum Schweigen. Es ist meine Pflicht, der Königin Bericht zu erstatten. Früher hättet Ihr mir zur Seite gestanden, Percy. Aber seit diese Hexe hier aufgetaucht ist, ist alles anders! Sie hat jeden in diesem Haus behext.« Kit sah sich aufgebracht um. »Ihr versorgt sie wie eine Schwester. George ist halb in sie verliebt. Tom preist ihren Witz, und Walter wäre längst unter ihren Rock vorgedrungen, wenn er sich nicht so vor Matt fürchten würde. Bringt sie dorthin zurück, wo sie hingehört. Bevor sie hier auftauchte, waren wir glücklich.«
»Matthew war nicht glücklich.« Tom war von Matthews stiller Wut an unser Ende des Raumes gelockt worden.
»Ihr behauptet, dass Ihr ihn liebt.« Kit wandte sich mir zu und sah mich flehentlich an. »Wisst Ihr wahrhaftig, was er ist? Habt Ihr zugesehen, wie er sich ernährt, habt Ihr den Hunger in ihm gespürt, sobald sich ein Warmblüter nähert? Könnt Ihr Matthew ganz und gar annehmen – nicht nur das Licht in seiner Seele, sondern auch die Dunkelheit –, so wie ich es tue? Ihr könnt immer noch Trost in Eurer Magie finden, ich hingegen bin ohne ihn nicht lebendig. Sobald ich nicht in seiner Nähe bin, entflieht die Poesie meinem Geist, und nur Matthew erkennt das Gute in mir. Lasst ihn mir. Bitte.«
»Ich kann nicht«, sagte ich nur.
Kit wischte sich wütend mit dem Ärmel über den Mund. »Wenn die anderen aus der Kongregation erfahren, was Ihr für ihn empfindet …«
»Falls meine Gefühle unstatthaft sind, dann sind es Eure auch«, fiel ich ihm ins Wort. Marlowe verzog das Gesicht. »Aber keiner von uns kann sich aussuchen, wen er liebt.«
»Iffley und die Seinen werden nicht die Letzten sein, die Euch hier der Hexerei beschuldigen«, verkündete Kit mit missgünstigem Triumph. »Vergesst das niemals, Mistress Roydon! Dämonen erkennen die Zukunft oft genauso klar wie Hexen.«
Matthews Hand kam auf meiner Taille zu liegen. Die vertrauten kühlen Finger schoben sich über meinen Rücken bis auf die andere Seite meines Brustkorbs, immer entlang der geschwungenen Narbe, die bewies, dass ich zu einem Vampir gehörte. Für Matthew war die Narbe ein peinigendes Mahnmal, weil es ihm damals nicht gelungen war, mich vor Schmerzen zu bewahren. Als Kit die intime Geste sah, stieß er ein grässliches, halb verschlucktes Stöhnen aus.
»Wenn Ihr in die Zukunft blicken könntet, dann hättet Ihr vorhersehen müssen, was Ihr mit diesem Verrat bei mir auslöst.« Matthew richtete sich langsam zu voller Größe auf. »Verschwindet aus meinen Augen, Kit, sonst wird bei Gott nichts von Euch übrig bleiben, was man noch begraben könnte.«
»Ihr zieht sie mir vor?« Kit schien das nicht glauben zu können.
»Jederzeit und ohne zu zögern. Aus meinen Augen!«, wiederholte Matthew.
Kit durchschritt gemessen den Raum, aber sobald er den Flur erreicht hatte, wurde er hörbar schneller. Immer hastiger hallten seine Schritte über die Holztreppe, bis er das Stockwerk mit seinem Zimmer erreicht hatte.
»Wir werden ihn im Auge behalten müssen.« Gallowglass’ hellwacher Blick richtete sich wieder auf Hancock. »Ab sofort können wir ihm nicht mehr trauen.«
»Man konnte Marlowe noch nie trauen«, murmelte Hancock.
Pierre schlüpfte mit betretenem Blick durch die Tür, das nächste Schriftstück in der Hand.
»Nicht jetzt, Pierre«, stöhnte Matthew. Er setzte sich und griff nach seinem Wein. Seine Schultern sanken gegen die Stuhllehne. »In diesen Tag passt wirklich keine weitere Krise mehr – ob sie nun Königin, Katholiken oder Königreich betrifft. Was es auch sei, es kann bis morgen warten.«
»Aber … Milord«, stammelte Pierre und streckte ihm den Brief hin. Matthew blickte auf die energischen Buchstaben, die über die Vorderseite marschierten.
»Jesus und all seine Heiligen.« Matthews Finger kamen auf dem Papier zu liegen und erstarrten. Seine Kehle zuckte, während er um Beherrschung rang. Etwas strahlend Rotes erschien in seinem Augenwinkel, rann über seine Wange und zerplatzte auf den Falten seines Kragens. Die blutige Träne eines Vampirs.
»Was ist denn, Matthew?« Ich beugte mich über seine Schulter, um
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