Wo die Nacht beginnt
»Und wenn Ihr Euch mir gegenüber keiner angemessenen Ausdrucksweise befleißigt, wird es auf der Bühne bald ein Ende mit den walisischen Königen und Soldaten nehmen. Dann verwandle ich sie alle in Verräter und Dienstboten von üblem Charakter.«
»Was ist ein Vampir?« George griff mit der einen Hand nach seinem Notizbuch und mit der anderen nach einem Honigkuchen. Wie gewöhnlich beachtete ihn niemand.
»Du bist also eine Art elisabethanischer James Bond? Aber …« Entsetzt drehte ich mich zu Marlowe um. Er würde noch vor seinem dreißigsten Geburtstag in Deptford bei einer Messerstecherei sterben, und man würde das Verbrechen mit seiner Tätigkeit als Spion in Verbindung bringen.
»Der Londoner Hutmacher bei St. Dunstan, der so saubere Krempen zieht? Dieser James Bond?« George musste lachen. »Wie kommt Ihr auf den Gedanken, Matthew sei ein Hutmacher, Mistress Roydon?«
»Nein, George, nicht dieser James Bond.« Matthew kauerte weiter vor mir und beobachtete genau, wie ich reagierte. »Es wäre besser gewesen, wenn du nichts davon erfahren hättest.«
»Bockmist!« Ich wusste nicht, ob das ein gängiger elisabethanischer Fluch war, und es war mir auch egal. »Ich habe es nicht verdient, dass du mir so etwas verschweigst.«
»Da mögt Ihr recht haben, Mistress Roydon, doch wenn Ihr ihn wirklich liebt, dann ist es sinnlos, darauf zu beharren«, mischte sich Marlowe ein. »Matthew kann nicht mehr voneinander unterscheiden, was wahr ist und was nicht. Darum ist er für Ihre Majestät wertlos.«
»Wir sind hier, um eine Lehrerin für dich zu finden«, beharrte Matthew, den Blick unverwandt auf mich gerichtet. »Dass ich sowohl ein Mitglied der Kongregation als auch ein Spion der Königin bin, wird dich dabei schützen. In diesem Land passiert nichts, ohne dass ich davon erfahre.«
»Für jemanden, der angeblich alles weiß, hast du erstaunlich wenig davon mitbekommen, dass ich seit Tagen etwas ahne. Es kommt entschieden zu viel Post. Und du hast dich mit Walter gestritten.«
»Du bekommst nur das zu sehen, was ich dich sehen lasse. Mehr nicht.« Seit wir in der Old Lodge gelandet waren, war Matthews Hang, über andere zu bestimmen, exponentiell gewachsen, aber jetzt klappte mir der Kiefer herunter.
»Wie kannst du es wagen«, sagte ich gedehnt. Ich stand auf.
»Setz dich«, krächzte er. »Bitte.« Er nahm meine Hand.
Matthews bester Freund Hamish Osborne hatte mich gewarnt, dass Matthew hier nicht der Mann wäre, den ich aus der Neuzeit kannte. Wie konnte er auch, wo die Welt hier ganz anders war? Hier wurde von einer Frau erwartet, fraglos hinzunehmen, was ihr Gemahl ihr befahl. Inmitten seiner Freunde fiel Matthew nur allzu leicht in alte Verhaltens- und Denkmuster zurück.
»Nur wenn du mir Rede und Antwort stehst. Ich will wissen, wem du berichtest und wie du in dieses Geschäft geraten bist.« Ich sah besorgt zu seinem Neffen und seinen Freunden hinüber, denn womöglich war das ein Staatsgeheimnis.
»Das mit Kit und mir wissen sie bereits.« Matthew war meinem Blick gefolgt. Er bemühte sich, die richtigen Worte zu finden.
»Alles fing mit Francis Walsingham an. Gegen Ende der Regentschaft von Heinrich VIII. verließ ich England. Ich lebte eine Weile in Konstantinopel, zog von dort aus nach Zypern, reiste durch Spanien, kämpfte in Lepanto – ich gründete sogar eine Druckerei in Antwerpen«, erzählte Matthew. »So ein Weg ist für einen Wearh nicht ungewöhnlich. Wir sind immer auf der Suche nach einer Tragödie, nach einer Möglichkeit, ein neues Leben überzustreifen. Aber nichts wollte mir passen, darum kehrte ich schließlich nach Frankreich zurück. Das Land stand am Rande eines Religions- und Bürgerkrieges. Wenn man so lange gelebt hat wie ich, erkennt man die Anzeichen. Ein hugenottischer Schulmeister nahm nur zu gern mein Geld und wanderte damit nach Genf aus, wo er seine Töchter gefahrlos großziehen konnte. Ich gab mich als sein in Wahrheit längst verstorbener Cousin aus, zog in sein Haus in Paris und nannte mich fortan Matthew de la Forêt.«
»Matthew vom Wald?« Ich zog angesichts dieser Ironie die Brauen hoch.
»So hieß der Schulmeister wirklich«, erklärte er trocken. »Paris war ein gefährliches Pflaster, und Walsingham, der englische Botschafter, zog fast magnetisch alle in Not geratenen Rebellen im Lande an. Im Spätsommer 1572 kochte der in Frankreich brodelnde Zorn über. Ich rettete Walsingham und die englischen Protestanten in seinem Haus.«
»Das Massaker
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