Wo die Nacht beginnt
Eingangshalle. Als die beiden schließlich in Françoise’ Obhut waren, kehrte Pierre zurück, schloss die Tür und bezog davor Stellung. Nun, wo nur noch Walter, Henry, Hancock und ich sowie Pierre die Unterhaltung verfolgen konnten, setzte Gallowglass seine Bemühungen fort, Matthew umzustimmen.
»Du musst nach Sept-Tours. Er wird keine Ruhe geben, bis er entweder deinen Leichnam begraben kann oder bis du lebendig vor ihm stehst. Philippe traut Elisabeth nicht – genauso wenig wie der Kongregation.« Diesmal wollte Gallowglass mit seinen Worten Trost spenden, aber Matthew blieb hart.
Gallowglass schnaufte ärgerlich. »Du kannst alle anderen täuschen – dich eingeschlossen, wenn du musst. Du kannst die ganze Nacht über anderen Möglichkeiten brüten. Aber Tantchen hat recht: Das ist alles Rattendreck.« Gallowglass senkte die Stimme. »Deine Diana riecht seltsam. Und du riechst älter als vor einer Woche. Ich weiß, welches Geheimnis ihr beide hütet. Er wird es auch wissen.«
Gallowglass war zu dem Schluss gelangt, dass ich durch die Zeit gewandert war. Ein Blick auf Hancock verriet mir, dass er das Gleiche dachte.
»Es reicht!«, bellte Walter.
Gallowglass und Hancock verstummten schlagartig. Der Grund dafür blinkte an Walters kleinem Finger: ein Siegelring, auf dem Lazarus und sein Sarg eingraviert waren.
»Ihr seid auch ein Ritter«, stellte ich erschüttert fest.
»Ja«, bestätigte Walter gepresst.
»Und Ihr steht offenbar im Rang über Hancock. Was ist mit Gallowglass?« Es gab zu viele sich überschneidende Loyalitäts- und Treueverhältnisse im Raum. Ich mühte mich verzweifelt ab, eine Struktur darin zu erkennen, an der ich mich orientieren konnte.
»Mit Ausnahme Eures Mannes stehe ich im Rang über allen hier im Raum, Madam«, beschwichtigte mich Raleigh. »Und das schließt Euch ein.«
»Ihr habt nicht über mich zu bestimmen«, schoss ich zurück. »Welche Rolle genau spielt Ihr im Familiengeschäft der de Clermonts?«
Raleighs blaue Augen blickten über meinen Kopf hinweg auf Matthew. »Ist sie immer so?«
»Meist«, erklärte Matthew trocken. »Es erfordert einige Gewöhnung, aber ich mag es. Vielleicht wird es Euch ähnlich ergehen.«
»In meinem Leben gibt es bereits eine fordernde Frau. Ich habe keinen Bedarf an einer zweiten«, schnaubte Walter. »Falls Ihr es unbedingt wissen wollt, Mistress Roydon – ich kommandiere den Orden in England. Nachdem Matthew in der Kongregation sitzt, kann er das nicht selbst tun. Die anderen Familienmitglieder waren anderweitig beschäftigt. Oder sie weigerten sich.« Walters Blick zuckte zu Gallowglass hinüber.
»Ihr seid also einer der acht Provinzmeister im Orden, die Philippe direkt unterstehen«, fasste ich nachdenklich zusammen. »Es überrascht mich, dass Ihr nicht der neunte Ritter seid.« Der neunte Ritter war eine rätselhafte Gestalt innerhalb des Ordens, deren Identität nur den Ranghöchsten innerhalb der Organisation bekannt war.
Raleigh fluchte so wortgewaltig, dass Pierre nach Luft schnappte. »Dass Ihr ein Spion und ein Mitglied der Kongregation seid, verschweigt Ihr Eurem Weib, aber Ihr offenbart ihr die wichtigsten Geheimnisse der Bruderschaft?«
»Sie hat danach gefragt«, antwortete Matthew nur. »Aber ich glaube, wir haben für heute genug über den Orden geredet.«
»Eure Frau wird sich nicht damit zufriedengeben. Sie wird immer weiter nagen wie ein Hund an einem Knochen.« Raleigh verschränkte die Arme und sah mich finster an. »Nun denn. Wenn Ihr es unbedingt wissen müsst, Henry ist der neunte Ritter. Da er sich standhaft weigert, zum protestantischen Glauben überzutreten, könnte er hier in England leicht des Verrats bezichtigt werden, und auf dem Festland stellt er ein leichtes Ziel für jeden Aufrührer dar, der Ihre Majestät gern vom Thron stoßen würde. Philippe hat ihm die Position angeboten, um ihn vor jenen zu schützen, die seine vertrauensselige Natur ausnutzen könnten.«
»Henry? Ein Rebell?« Fassungslos sah ich den sanften Riesen an.
»Ich bin gewiss kein Rebell. Aber Philippe de Clermonts Protektion hat mir mehr als einmal das Leben gerettet.«
»Der Earl of Northumberland ist ein mächtiger Mann, Diana«, ergänzte Matthew leise. »Und das macht ihn in der Hand eines skrupellosen Spielers zu einem wertvollen Pfand.«
Gallowglass hustete. »Können wir uns jetzt von der Bruderschaft ab- und dringenderen Geschäften zuwenden? Die Kongregation wird von Matthew erwarten, dass er die Situation in
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