Wo die Nacht beginnt
Arbeit auf uns, es müssen Vorbereitungen getroffen werden«, sagte Walter. »Überlasst das uns. Eure Gemahlin sieht erschöpft aus, und die Reise wird beschwerlich. Ihr solltet beide ruhen.«
Doch auch nachdem die Männer in den Salon verschwunden waren, machten wir keine Anstalten, uns in Richtung Bett zu bewegen.
»Unser Ausflug ins Jahr 1590 entwickelt sich nicht ganz so wie erhofft«, gab Matthew zu. »Eigentlich sollte alles ganz unkompliziert ablaufen.«
»Wie sollte es unkompliziert sein, wenn deine Aufmerksamkeit gleichzeitig von der Kongregation, den Prozessen in Berwick, dem elisabethanischen Geheimdienst und den Lazarusrittern beansprucht wird?«
»Dass ich Mitglied der Kongregation bin und als Spion diene, hätte uns die Sache erleichtern sollen – nicht erschweren.« Matthew starrte aus dem Fenster. »Ich dachte, wir kommen in die Lodge, nehmen die Dienste von Witwe Beaton in Anspruch, finden in Oxford das Manuskript und sind in ein paar Wochen zurück im 21. Jahrhundert. Das dachte ich wirklich.«
Ich biss mir auf die Zunge, um ihm nicht die Schwachpunkte in seinem Plan unter die Nase zu reiben – das hatten Walter, Henry und Gallowglass schon ausgiebig getan –, aber meine Miene verriet mich.
»Es war kurzsichtig gedacht«, sagte er seufzend. »Und das Problem ist nicht nur, dass du nicht wie eine elisabethanische Ehefrau wirkst oder dass wir offenkundige Fallgruben wie Hexenprozesse und Kriege vermeiden müssen. Ich bin auch überfordert. In groben Zügen ist mir durchaus in Erinnerung, was ich für Elisabeth und die Kongregation unternommen habe – und welche Gegenmaßnahmen ich im Auftrag meines Vaters ergriffen habe –, aber die Details sind verblasst. Ich weiß noch das Datum, aber nicht mehr den Wochentag. Das heißt, dass ich nicht genau weiß, welcher Bote wann eintreffen wird und wann die nächste Lieferung ansteht. Ich hätte schwören können, dass ich mich bereits vor Halloween von Gallowglass und Hancock getrennt hatte.«
»Der Teufel liegt immer im Detail«, murmelte ich. Ich fuhr mit dem Finger über die rußbraune Blutspur, die den Weg seiner Träne nachzeichnete. Im Augenwinkel waren winzige Flecken zurückgeblieben, und ein dünner Strich zog sich über seine Wange. »Ich hätte wissen müssen, dass sich dein Vater womöglich mit dir in Verbindung setzt.«
»Irgendwann wäre dieser Brief auf jeden Fall gekommen. Immer wenn Pierre die Post bringt, wappne ich mich innerlich. Aber der Kurier war heute schon da gewesen. Ich war einfach nicht auf seine Handschrift gefasst, das ist alles«, erklärte er. »Ich hatte vergessen, wie kraftvoll sie früher war. Als wir ihn 1944 von den Nazis zurückholten, war sein Körper so zerschunden, dass nicht einmal Vampirblut ihn heilen konnte. Philippe konnte keinen Stift mehr halten. Er hatte so gern geschrieben, und nun brachte er nur noch ein unleserliches Gekrakel zustande.« Ich wusste von Philippes Gefangenschaft während des Zweiten Weltkrieges, aber kaum etwas darüber, was er unter den Nazis erlitten hatte, außer dass sie alles darangesetzt hatten zu erforschen, wie viel Schmerz ein Vampir aushalten konnte.
»Vielleicht hat uns die Göttin nicht nur meinetwegen ins Jahr 1590 zurückversetzt. Vielleicht öffnet das Wiedersehen mit Philippe bei dir alte Wunden – damit sie endlich heilen können.«
»Aber erst werden sie umso schlimmer bluten.« Matthew senkte den Kopf.
»Trotzdem könnten sie letztendlich heilen.« Ich strich das Haar über dem harten, sturen Schädel glatt. »Du hast den Brief immer noch nicht geöffnet.«
»Ich weiß, was darin steht.«
»Vielleicht solltest du ihn trotzdem öffnen.«
Schließlich schob Matthew den Finger unter das Siegel und brach es auf. Die Münze rollte aus dem Wachs, und er fing sie auf. Als er das feste Papier entfaltete, stieg ein leichter Duft nach Lorbeer und Rosmarin daraus auf.
»Ist das Griechisch?« Ich spähte über seine Schulter auf die eine Textzeile und den geschwungenen Buchstaben Phi darunter.
»Ja.« Matthew fuhr die Buchstaben nach und nahm damit erstmals zaghaft Kontakt zu seinem Vater auf. »Er befiehlt mir heimzukehren. Sofort.«
»Kannst du es ertragen, ihn wiederzusehen?«
»Nein. Ja.« Matthew knüllte das Papier in seiner Faust zusammen. »Ich weiß nicht.«
Ich nahm ihm die Seite ab und strich sie wieder glatt. Die Münze funkelte in Matthews Hand. Eine so kleine Metallscheibe, die so viel Ärger brachte.
»Du wirst ihm nicht allein gegenübertreten
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