Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
Vom Netzwerk:
zufallen. Niemand konnte sich vorstellen, warum unser Vater beschlossen hatte, den Lazarusorden stattdessen mir anzuvertrauen. Vielleicht hatte er wirklich den Verstand verloren.«
    »Er vertraute seinem Glauben«, erklärte ich leise, fasste dabei nach seiner Hand und verschränkte meine Finger mit seinen. »Philippe glaubt an dich. Genau wie du selbst. Diese Hände haben diese Kirche erbaut. Sie waren stark genug, um deinen Sohn und deinen Vater während ihrer letzten Atemzüge zu halten. Und es wartet immer noch Arbeit auf sie.«
    Hoch über uns waren Flügelschläge zu hören. Eine Taube hatte den Weg durch eines der winzigen Kirchenfenster gefunden und sich dann zwischen den Dachbalken verflogen. Sie kämpfte sich in den freien Kirchenraum und segelte in einem weiten Bogen nach unten. Schließlich landete sie auf dem Stein, der die letzte Ruhestätte von Blanca und Lucas kennzeichnete, und vollführte darauf einen Kreistanz, bis sie Matthew und mir ins Gesicht sah. Dann senkte sie den Kopf und musterte uns mit einem blauen Auge.
    Matthew sprang angesichts der plötzlichen Störung auf, und die Taube flatterte erschrocken ans andere Ende der Apsis. Flügelschlagend hielt sie vor dem Bildnis der Jungfrau inne. Gerade als ich glaubte, sie würde gegen die Wand prallen, wechselte sie geschickt die Richtung und flog durch das Fenster, durch das sie hereingekommen war, wieder ins Freie.
    Eine lange weiße Feder aus ihrer Schwinge segelte kreiselnd nach unten und landete vor unseren Füßen. Verwirrt beugte sich Matthew vor, hob sie auf und hielt sie vor sich hin.
    »Ich habe noch nie eine weiße Taube in der Kirche gesehen.« Matthew blickte in die Kuppel über der Apsis auf, wo über dem Kopf Christi eine weiße Taube schwebte.
    »Sie steht für Hoffnung und Wiederauferstehung. Wir Hexen glauben an Zeichen, das weißt du doch.« Ich schloss die Hand um die Feder. Dann küsste ich ihn sanft auf die Stirn und wandte mich dem Ausgang zu. Vielleicht würde er jetzt, wo er mir seine Erinnerungen anvertraut hatte, Frieden finden.
    »Diana?«, rief Matthew mir nach. Er stand immer noch am Grab seiner Familie. »Danke, dass du mir die Beichte abgenommen hast.«
    Ich nickte. »Wir sehen uns zu Hause. Vergiss deinen Vater nicht.«
    Er sah zu, wie ich die Folter- und Sühneszenen auf dem Portal zwischen der Welt Gottes und der Welt der Menschen passierte. Draußen wartete Pierre auf mich, der mich wortlos nach Sept-Tours zurückbrachte. Philippe hörte uns kommen und erwartete mich im großen Saal.
    »War er in der Kirche?«, fragte er leise. Bei seinem Anblick – so kräftig und gesund – wurde mir das Herz eng. Wie hatte Matthew das nur ertragen?
    »Ja. Ihr hättet mir verraten sollen, dass heute Lucas’ Geburtstag ist.« Ich reichte Catrine meinen Umhang.
    »Wir haben alle gelernt, die schwarzen Stunden vorauszuahnen, in denen Matthew an seinen Sohn erinnert wird. Du wirst das auch lernen.«
    »Es geht dabei nicht nur um Lucas.« Ich biss mir auf die Lippe, weil ich befürchtete, schon zu viel gesagt zu haben.
    »Matthew hat dir auch von seinem eigenen Tod erzählt.« Philippe zog die Finger durch seine Haare, eine ungestümere Version der so vertrauten Geste seines Sohnes. »Ich verstehe seine Trauer, aber nicht diese Schuldgefühle. Wann wird er die Vergangenheit endlich hinter sich lassen?«
    »Manches kann man nie vergessen.« Ich sah Philippe offen in die Augen. »Ganz gleich, was Ihr zu verstehen glaubt – wenn Ihr ihn wirklich liebt, müsst Ihr ihn gegen seine Dämonen kämpfen lassen.«
    »Nein. Er ist mein Sohn. Ich werde ihn nicht im Stich lassen.« Philippes Lippen wurden schmal. Er drehte sich um und stakste davon. »Und ich habe Meldung aus Lyon erhalten, Madame«, rief er mir über die Schulter zu. »In Kürze wird eine Hexe eintreffen, um Euch zu helfen, so wie Matthew es wünschte.«

11
    I ch erwarte dich nach deiner Rückkehr aus dem Dorf im Heuschober.« Philippe hatte seine irritierende Angewohnheit, in Sekundenbruchteilen zu erscheinen und zu verschwinden, wieder aufgenommen und war aus dem Nichts vor uns in der Bibliothek aufgetaucht.
    Ich sah von meinem Buch auf und runzelte die Stirn. »Was ist im Heuschober?«
    »Heu.« Seit der Beichte in der Kirche wirkte Matthew noch rastloser und reizbarer. »Ich schreibe gerade an unseren neuen Papst, Vater. Alain hat mir erzählt, das Konklave würde heute verkünden, dass der arme Niccolò gewählt wurde, obwohl er darum gebettelt hat, man möge ihm die

Weitere Kostenlose Bücher