Wo die Nacht beginnt
der Wandel.‹«
»Heraklit«, murmelte ich.
»Der Weiseste unter den Menschen«, sagte Philippe, erfreut, dass ich das Zitat erkannt hatte. »Die Götter überraschen uns gern, wenn wir allzu selbstgefällig werden. Das ist ihr größtes Vergnügen.« Er studierte meine ungewöhnliche Aufmachung. »Warum trägst du Matthews Hemd und Strümpfe?«
»Er hat sie mir geschenkt. Beides kommt dem nahe, was ich in meiner Zeit trage, und Matthew wollte, dass ich mich wohlfühle. Ich glaube, er hat die Beine selbst zusammengenäht.« Ich drehte mich im Kreis, um ihm mein Kostüm vorzuführen. »Wer hätte gedacht, dass die Männer der de Clermonts ein Garn einfädeln oder gar einen geraden Saum nähen können?«
Philippe zog die Brauen hoch. »Glaubst du vielleicht, Ysabeau hätte unsere zerfetzten Kleider geflickt, nachdem wir aus der Schlacht heimkehrten?«
Die Vorstellung, dass Ysabeau still vor sich hin nähte, während sie darauf wartete, dass ihre Männer aus dem Krieg zurückkehrten, brachte mich zum Kichern. »Eigentlich nicht.«
»Du kennst sie gut, wie ich sehe. Aber wenn du schon entschlossen bist, dich wie ein Knabe zu kleiden, dann zieh zumindest eine Hose über. Falls der Priester dich so sieht, bleibt ihm das Herz stehen, und wir müssen die morgige Zeremonie verschieben.«
»Ich gehe doch nicht nach draußen.« Ich zog die Stirn in Falten.
»Bevor du heiratest, würde ich mit dir gern an einen Platz gehen, der den alten Göttern heilig war. Er ist nicht weit von hier«, kam Philippe seinem Sohn zuvor, der sich schon beschweren wollte. »Und ich möchte mit ihr allein dorthin, Matthaios.«
»Wir treffen uns im Stall«, erklärte ich mich sofort einverstanden.
Draußen genoss ich das Beißen der kalten Luft auf den Wangen und den winterlichen Frieden der Landschaft. Bald kamen Philippe und ich an eine Hügelkuppe, die flacher wirkte als die meisten abgeschliffenen Berge rund um Sept-Tours. Das Gelände war von spitzen Steinen durchsetzt, die mir eigentümlich symmetrisch erschienen. Sie waren zwar uralt und längst überwuchert, aber keine natürlichen Felsgebilde. Sondern von Menschenhand geschaffen.
Philippe schwang sich vom Pferd und gab mir ein Zeichen, es ihm nachzutun. Sobald ich abgesessen hatte, nahm er mich am Ellbogen und führte mich zwischen zweien der merkwürdigen Brocken hindurch auf einen glatten, schneebedeckten Platz. Die jungfräuliche Oberfläche wurde nur von Wildspuren gestört – den herzförmigen Abdrücken eines Hirschhufes, den mit fünf Klauen besetzten Tatzen eines Bären, den dreieckigen und ovalen Pfotenballen eines Wolfes.
»Was ist das hier?«, fragte ich gedämpft.
»Hier stand einst ein Diana geweihter Tempel, von dem aus man über die Wälder und Täler blickte, in denen der Hirsch läuft. Die Menschen, die die Göttin verehrten, pflanzten heilige Zypressen, die unter den hier vorkommenden Eichen und Erlen heranwuchsen.« Philippe deutete auf die dünnen grünen Säulen, die wie Wachen das Gelände umstanden. »Ich wollte dich hierherbringen, weil während meiner Kindheit – vor ewigen Zeiten und lange bevor ich zum Manjasang wurde – die Bräute vor ihrer Hochzeit zu solchen Tempeln pilgerten und der Göttin ein Opfer darbrachten. Damals nannten wir sie Artemis.«
»Ein Opfer?« Mein Mund war wie ausgetrocknet. Es war schon genug Blut vergossen worden.
»So sehr wir uns auch verändern, es bleibt wichtig, uns der Vergangenheit zu erinnern und sie zu ehren.« Philippe reichte mir ein Messer und einen Beutel, dessen Inhalt wackelte und klimperte. »Außerdem ist es klug, alte Schuld zu begleichen. Die Göttinnen waren nicht immer glücklich über mein Handeln. Ich würde gern sicherstellen, dass Artemis bekommt, was ihr zusteht, bevor mein Sohn dich morgen heiratet. Das Messer hast du, um eine Locke von deinem Haar abzuschneiden. Sie steht für deine Jungfräulichkeit und ist das übliche Geschenk. Das Geld soll deinen Wert symbolisieren.« Philippes Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Raunen. »Ich hätte dir mehr mitgegeben, aber ich musste etwas für Matthews Gott abzweigen.«
Philippe führte mich zu einem kleinen Sockel in der Mitte der Ruinen. Darauf ruhte ein Sortiment verschiedenster Opfergaben – eine Holzpuppe, ein Kinderschuh, eine mit Schnee bestäubte Schale mit durchnässtem Getreide.
»Ich hätte nicht gedacht, dass immer noch jemand hierherkommt«, sagte ich.
»In ganz Frankreich knicksen die Frauen noch heute vor Mutter Mond,
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