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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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wenn sie voll ist. Alte Gebräuche sterben nur langsam, vor allem, wenn sie den Menschen durch schwere Zeiten helfen.« Philippe trat an den provisorischen Altar. Er verbeugte sich nicht, er kniete auch nicht nieder oder vollführte eine andere der gängigen Respektbezeugungen vor einer Gottheit, doch als er zu sprechen begann, war seine Stimme so leise, dass ich ihn nur mit Mühe verstand. Die eigentümliche Mischung von Griechisch und Englisch ergab kaum Sinn. Philippes ernste Absichten waren dafür umso klarer.
    »Artemis Agroterê, berühmte Jägerin, Alcides Loentothymos beschwört dich, dieses Kind Diana in deiner Hand zu halten. Artemis Lykeiê, Herrin der Wölfe, beschütze sie in jeder Weise. Artemis Patrôia, Göttin meiner Vorfahren, segne sie mit Kindern, damit mein Geschlecht Bestand hat.«
    Philippes Geschlecht. Jetzt gehörte ich durch meine Hochzeit und durch meinen Blutschwur dazu.
    »Artemis Phôsphoros, bringe ihr das Licht deiner Weisheit, wenn sie in der Dunkelheit weilt. Artemis Upis, wache über deine Namensträgerin auf ihrer Reise durch diese Welt.« Philippe beendete seine Beschwörung und winkte mich zu sich.
    Nachdem ich den Beutel mit Münzen vorsichtig neben dem Kinderschuh abgesetzt hatte, zog ich eine Haarsträhne aus meinem Nacken. Das Messer war so scharf, dass ich die Locke problemlos mit einem Schnitt abtrennen konnte.
    Schweigend standen wir im schwächer werdenden Abendlicht. Eine Energiewelle lief durch den Boden unter meinen Füßen. Die Göttin war da. Einen Moment sah ich den Tempel so vor mir, wie er einst gewesen war – hell, strahlend, intakt. Ich warf einen verstohlenen Blick auf Philippe. Mit dem Bärenpelz über den Schultern sah auch er aus wie ein wildes Überbleibsel aus einer untergegangenen Welt. Und er wartete auf etwas.
    Ein weißer Rehbock mit gekrümmten Hörnern erschien zwischen den Zypressen und blieb mit dampfenden Nüstern vor uns stehen. Langsam und Schritt für Schritt kam er auf mich zu. Die großen braunen Augen blickten mich herausfordernd an, bis er mir schließlich so nahe war, dass ich die scharfen Spitzen seiner Hörner sehen konnte. Der Bock wandte sich Philippe hoheitsvoll zu und stieß ein Brüllen aus – ein wildes Tier, das ein anderes grüßte.
    » Sas efharisto«, erklärte Philippe getragen und presste die Hand auf sein Herz. Dann wandte er sich mir zu. »Artemis hat dein Opfer angenommen. Jetzt können wir gehen.«
    Matthew hatte Ausschau nach uns gehalten und erwartete uns unschlüssig im Hof, als wir durch das Tor geritten kamen.
    »Bereite dich auf das Bankett vor«, riet mir Philippe, als ich absaß. »Unsere Gäste werden in Kürze eintreffen.«
    Ich schenkte Matthew ein möglichst zuversichtliches Lächeln und verschwand nach oben. Es wurde bereits dunkel, und das Rumoren im Château verriet mir, dass immer mehr Menschen es bevölkerten. Wenig später erschienen Catrine und Jehanne, um mich anzuziehen. Noch nie hatte ich etwas so Elegantes getragen wie das Kleid, das sie mir bereitlegten. Der dunkelgrüne Stoff erinnerte mich nun eher an die Zypressen rund um den Tempel als an die Zweige, mit denen die Burg für den Advent geschmückt worden war. Und die auf dem Mieder eingestickten silbernen Eichenblätter fingen das Licht der Kerzen so ein, wie die Hörner des Rehbocks die Strahlen der untergehenden Sonne eingefangen hatten.
    Die Augen der Mädchen leuchteten, als sie fertig waren. Ich hatte in Louisas poliertem Silberspiegel nur einen kurzen Blick auf mein zu Zöpfen geflochtenes und in Schnecken gelegtes Haar und mein bleiches Gesicht erhaschen können. Aber die Mienen der beiden ließen darauf schließen, dass ich nach meiner Verwandlung eindeutig heiratswürdig aussah.
    » Bien«, befand Jehanne leise.
    Catrine öffnete mit großer Geste die Tür, und die silbernen Stickereien auf meinem Kleid erwachten unter dem Schein der Fackeln im Gang zum Leben. Mit angehaltenem Atem erwartete ich Matthews Urteil.
    » Jesu«, hauchte er ungläubig. »Du bist wunderschön, mon cœur.« Dann nahm er meine Hände und hob meine Arme an, um mich bewundern zu können. »Mein Gott, trägst du etwa zwei Paar Ärmel?«
    »Ich glaube, es sind drei«, antwortete ich lachend. Ich trug einen langärmligen Unterrock aus Leinen mit engen Spitzenmanschetten, dazu enge grüne Ärmel, die zu meinem Mieder und Rock passten, und darüber voluminöse Puffärmel aus grüner Seide, die mir von dem Schultern fielen und an Ellbogen und Handgelenk gerafft

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