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Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Titel: Wo die toten Kinder leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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ankamen, fand ich schnell einen Parkplatz und wollte ihm beim Aussteigen helfen. Er war aber bereits selbst aus dem Auto geklettert.
    „Sie brauchen wirklich nicht mit zu mir“, wiederholte er.
    „Doch“, beharrte ich. „Wir schauen uns Ihre Verletzung bei Licht einmal näher an. Dann können wir immer noch entscheiden, ob wir einen Arzt hinzuziehen.“
    Im Haus roch es nach Bohnerwachs. Wir stiegen die knarrenden Holzstufen empor, bis Wagner im zweiten Stock anhielt. Er suchte in seinen Taschen nach den Schlüsseln, fand sie und öffnete die Tür.
    Wir betraten zuerst einen ziemlich breiten Flur. Die Wände waren höher als bei modernen Wohnungen. Ich schätzte sie auf mehr als drei Meter. Über den Gang, in dem nur eine schmucklose, wenn auch sicherlich teure Kommode stand, gelangten wir in das Wohnzimmer. Ein weißer Bücherschrank zog sich über zwei Seiten des Raumes hinweg. Davor standen ein futuristisch gehaltener Schalensitz, der wohl so etwas Ähnliches wie einen Lesesessel darstellen sollte, und ein passender Beistelltisch. Ansonsten war das Zimmer leer. Durch die Sprossenfenster schimmerte das Licht einer Straßenlaterne und warf Akzente auf den hellen Holzboden.
    „Recht gemütlich“, log ich, denn trotz der Bücher wirkte der Raum seltsam unpersönlich – als ob sich in ihm kaum jemand aufhalten würde. „Gibt es hier auch ein Bad?“
    Wagner wies auf eine weiß lackierte Holztür zur rechten Seite. Ich öffnete sie, sah Wagner an und machte eine einladende Handbewegung. Nur zögernd folgte er meiner Aufforderung.
    Ich schaltete das Licht an. Italienische Fliesen und Marmor empfingen mich. Wagner hatte eindeutig Geld. Mehr, als er als einfacher Geistlicher verdienen konnte. Vermutlich kam er aus einer wohlhabenden Familie. Sponsored by daddy.
    „Gar nicht mal so übel“, sagte ich mit Blick auf die edlen Armaturen und die futuristisch geschwungene Wanne. „Und jetzt zeigen Sie mir die Wunde.“
    Wagner blieb mehr als zwei Schritte vor mir stehen und reckte den Hals etwas vor.
    Gegen meinen Willen musste ich lachen. „Wie soll ich denn da etwas erkennen? Machen Sie einfach den Oberkörper frei.“
    Widerstrebend gehorchte mir Wagner, legte zuerst sein dunkles Jackett ab und knöpfte dann sein offensichtlich maßgeschneidertes schwarzes Hemd auf. Es schien ihm peinlich zu sein, denn er ließ sich Zeit, es vollends zu öffnen.
    „Na los!“, forderte ich ihn auf. „…Übrigens habe ich schon mehr als einen nackten Mann gesehen!“
    Wagner seufzte resignierend und streifte sein Hemd herunter.
    Ich wollte es ihm abnehmen und verharrte mitten in meiner Bewegung. Wider Erwarten war er trainiert. An seinem Oberkörper war kaum eine Spur Fett. Muskeln zeichneten sich deutlich unter seiner Haut ab.
    Wagner verstand meinen Blick, der Anflug eines entschuldigenden Lächelns zog über sein Gesicht. „Mitunter spiele ich ein wenig Squash.“
    „Na ja. Soll ja gesund sein“, sagte ich, griff das Hemd und legte es achtlos über den Wannenrand.
    Ich holte ein Handtuch, machte es nass, und begann, das Blut von seinem Hals zu tupfen. Das Seil hatte sich an mehreren Stellen tief in seine Haut geschnitten. Die Partien waren rot und geschwollen.
    Ich wusch die Wunde so gut ich konnte oberflächlich aus, nahm das Rasierwasser vom Platz neben dem Spiegel, benetzte ein anderes frisches Handtuch und reinigte nochmals gründlich nach. Die Prozedur musste Wagner höllisch schmerzen, doch sein Ausdruck blieb unbeweglich. Er gab keinen Laut von sich.
    Die ganze Zeit über stand ich sehr nah bei ihm. Ich konnte die Wärme spüren, die von ihm ausging. Obwohl ich mich auf seine Verletzung konzentrierte, glitt mein Blick mehrmals wie von selbst zu seinem Gesicht. Seine Wimpern waren dicht und seine graublauen Augen kamen mir dunkler vor, als gewöhnlich.
    Sobald ich mit dem Verarzten fertig war, trat ich einen Schritt zurück. „Haben Sie ein Wundpuder?“, fragte ich und meine Stimme klang seltsam fremd.
    „Wundpuder?“, wiederholte er. Sein Blick verriet mir, dass auch er unsere Nähe sehr bewusst wahrgenommen hatte.
    „…Oder irgendetwas anderes, womit man die offenen Stellen versorgen kann.“
    „Das Verbandszeug ist links.“ Er räusperte sich.
    Ich öffnete seinen Badschrank, fand die Sachen die ich benötigte, verteilte Bepanthensalbe auf den wunden Stellen und klebte anschließend Pflaster darüber. Während der Prozedur spürte ich seinen Kehlkopf unter meinen Fingerspitzen, wie er sich bewegte, wenn

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