Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Titel: Wo die toten Kinder leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
Vom Netzwerk:
einiges abgewöhnt. Aber jetzt hätte ich es mehr als genossen, den würzigen Rauch tief einzuatmen. Vielleicht war es auf Dauer doch härter, auf Zigaretten zu verzichten, als ich anfangs angenommen hatte.
    Ich lehnte meinen Kopf an die Wand, versuchte, an nichts zu denken, sondern mich auf den Augenblick zu konzentrieren. Der Augenblick war wichtig. Der Augenblick war alles, was mir gehörte – im Gegensatz zur Vergangenheit, die mir ständig Streiche spielte, oder zur Zukunft, auf die ich keinen Einfluss hatte.
    Die Gegenwart war das, was mir blieb. Ich wollte ein Mensch sein, der nur in der Gegenwart lebte. Dann würde ich es schaffen.
    Ich hörte ein pumpendes Geräusch. Erst leise, dann wurde es lauter. Ich lauschte angestrengt. Es kam mir jetzt eher wie ein Schnarchen vor. Vielleicht blies irgendwo eine Belüftungsanlage durch ein Gitter. Ja, so klang es.
    Das Geräusch wurde deutlicher. Es stammte aus der Wohnung hinter mir. Es stammte aus Bernhards Appartement.
    Ich klingelte. Niemand öffnete.
    Das Geräusch war verschwunden. Dann vernahm ich es wieder. Es drang durch das Holz der Tür.
    Ich hob meine Hand, um anzuklopfen. Die Tür schwang unter meiner Berührung leicht auf, sie war nicht verschlossen gewesen.
    Dunkelheit.
    Zugezogene Vorhänge gaben dem letzten Tageslicht keine Chance, in den Raum zu dringen.
    Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich im hell erleuchteten Türrahmen stand. Ich ging in die Hocke, um kein leichtes Ziel zu bieten, fasste an meine Hüfte, an der sich früher meine Dienstwaffe befunden hatte. Mein Griff ging ins Leere. Meine Pistole war nicht da. Ich hatte sie mit so vielem anderen verloren.
    Nach unten gekauert zwang ich mich, ruhig zu atmen. Ich wartete, bis sich meine Augen an das wenige Licht vor mir gewöhnten. Nach einer Weile nahm ich das Mobiliar wahr: ein alter Schreibtisch, auf dem stapelweise Zeitungen und Müll abgelegt waren. Ein Bett mit Wäschebergen, daneben ein langer schwarzer Sack. Überall Dosen, benutztes Geschirr, einige leere Pizzaschachteln und Pappkartons vom Chinesen. Ein vergammelter Geruch schlug mir entgegen. Alles war durcheinander geschmissen. Jemand hatte die Wohnung aufs Gründlichste durchwühlt.
    Das Geräusch fing wieder an und der schwarze Sack auf dem Bett bewegte sich leicht im Takt dazu. Ich konnte Schuhsolen erkennen. Sie zuckten ein wenig.
    Das Röcheln wurde stärker.
    Ich hastete zum Bett. Vor mir lag ein Mann. Seine Hände waren mit grauem Klebeband auf den Rücken gefesselt. Auch seine Beine waren eng verschnürt.
    Aber das war nicht alles. Was noch hinzukam, war der Strick. Der Strick am Hals des Mannes. Das Ende des Seils war an einen der Bettpfosten gebunden und der Körper so über das Bett hinausgeschoben, dass der Mann durch sein eigenes Gewicht langsam aber sicher stranguliert wurde. Eine höllische Art zu sterben, die ihre Zeit dauerte.
    Ich holte mein Klappmesser aus der Tasche und schnitt den Strick durch. Der Mann, dessen Körper nun nicht mehr durch das Seil gehalten wurde, rutschte zu Boden, wo er bis auf ein gelegentliches Röcheln nahezu bewegungslos liegen blieb.
    Ich beugte mich über ihn und betastete seinen Hals. Die Schlinge hatte sich bereits so tief ins Fleisch geschnitten, dass sie sich nicht mehr von alleine lockerte. Ich versuchte, sie durchzusäbeln, doch ich bekam meine Klinge nicht zwischen das Seil und den Hals des Mannes.
    Behutsam, um ihn nicht noch mehr zu verletzten, begann ich, den Strick mit der Spitze meines Messers von außen zu ritzen. Es war eine Arbeit, die viel Konzentration verlangte. Schon bald tropfte mir der Schweiß von der Stirn.
    Endlich hatte ich es geschafft. Mit spitzen Fingern löste ich die restliche Schnur ab. Dann packte ich den Mann, der mit seinem Gesicht nach unten lag, an den Schultern, richtete ihn auf und drehte ihn dabei um. Auch quer über seinem Mund klebte dieses graue Isolierband. Ich riss es ab.
    Schon längst hatte ich den Mann vor mir erkannt. Es handelte sich um Wagner.
    Er schnappte krächzend nach Luft und versuchte vergeblich, zu sprechen.
    Ich säbelte gerade seine Handfesseln durch, als ich verstand, was er mir sagen wollte.
    „Noch. Da“, presste er heiser heraus.
    In diesem Moment hörte ich ein Geräusch hinter mir. Instinktiv zuckte ich zur Seite und ein schwerer Gegenstand schlug gegen meine Schulter. Ich fiel hart zu Boden, wälzte mich herum und trat blind nach oben. Ich traf meinen Angreifer am Oberschenkel. Ich sah nur ein schwarzes Kapuzenshirt,

Weitere Kostenlose Bücher