Wo die toten Kinder leben (German Edition)
so willst, seid ihr beide unsere Ermittler – sozusagen moderne Geheiminquisitoren .“
„ Geheiminquisitoren , sagst du? Wenn ich die Wahl habe, nenne ich mich dann doch lieber Ermittlerin“, bemerkte ich trocken.
Satorius zog fast entschuldigend seine Augenbrauen hoch. „Sei Lorenzo bitte nicht böse, Anne. Aber er und ich – wir sind eben etwas konservativ in den Begrifflichkeiten. Egal, wie du und Paul euch auch nennt, wichtig ist einzig und allein, dass ihr die Wahrheit ans Tageslicht befördert.“
„Wie ist eure Beziehung zu Paul?“, wollte ich von Lorenzo wissen. „Du und …“, ich zögerte, Satorius bei seinem Vornamen zu nennen.
„Paul nennt mich Prof. Ich habe mich daran schon gewöhnt.“ Satorius schien amüsiert.
Ich räusperte mich. „Also gut. Prof. Wie steht ihr beide zu Paul?“
Lorenzo lächelte. „Nun, Paul ist so etwas wie unser Kind.“
„Euer Kind?“ Satorius hatte mir gegenüber zwar schon von Familie gesprochen, aber diese Aussage überraschte mich dann doch.
Lorenzos Lächeln vertiefte sich. „Natürlich nicht unser leibliches Kind. Das erste Mal haben wir Paul im Internat getroffen. Ich arbeitete dort als Schulleiter. Paul war wirklich ein vielversprechender junger Mann - wenn auch mit gewissen Problemen.“
Es brannte mir auf der Zunge, das mit den Problemen zu hinterfragen, aber der Augenblick erschien mir nicht richtig.
„Und dann“, sprach Lorenzo weiter, „später, hat er bei Friedrich…, ich meine bei unserem Prof hier studiert.“
Der Cognac entfaltete seine Wirkung. Ich gähnte.
Lorenzo beugte sich vor, musterte mich und meinte: „Anne sieht sehr müde aus. Der Tag hat auch an ihr seine Spuren hinterlassen.“
„Ja“, pflichtete ich ihm bei. „Ich bin müde und beschwipst. Am besten rufe ich mir ein Taxi und lasse mich nach Hause fahren.“
„Musst du nicht“, beeilte sich Satorius zu sagen. „Wir haben noch weitere Gästezimmer.“
„Das macht euch nichts aus?“
„Nein“, Lorenzo schüttelte lachend den Kopf. „Das macht uns nichts aus, mia cara.“
Ich erhob mich und reichte Satorius die Hand. Er hielt sie vielleicht einen Bruchteil länger fest, als nötig. Seine Augen waren warm und mitfühlend. „Schlaf gut, Anne“, sagte er.
Ich drehte mich um und folgte Lorenzo ins nächste Stockwerk. Mein Zimmer glich dem von Paul. Ich streifte meine Kleider ab und unterzog mich einer Katzenwäsche, bevor ich in ein weiches bequemes Bett kroch. Sobald mein Kopf das Kissen berührte, war ich eingeschlafen.
In dieser Nacht quälten mich keine Träume. Ich wurde erstmals nicht von der Vergangenheit verfolgt.
22
A m nächsten Morgen duschte ich mich im angrenzenden Gästebad, das mit den wichtigsten Drogerieartikeln bestückt war. Außerdem hatte mir jemand ein in Folie eingeschweißtes Polo-Shirt und ein dazu passendes Sweatshirt in meiner Größe bereitgelegt. Auf den dunkelblauen Kleidungsstücken prangte das Emblem Schloß Amselfeld, virtus et sapientia .
Ich begab mich ins Erdgeschoss hinunter. Es war noch früh, aber ein wunderbarer Geruch von gebratenem Speck und frisch gebrühtem Kaffee hing in der Luft.
Lorenzo und Satorius saßen in der Küche.
Lorenzo sprang auf, sobald er mich kommen sah. „Und? Gut geschlafen?“ fragte er.
„Ja, phantastisch.“
„Sie sieht auch wieder bildhübsch aus“, meinte Lorenzo. „Nicht wahr, Friedrich? Sie könnte glatt als eine meiner Schülerinnen durchgehen. …Weißt du noch? In meinen jungen Jahren hatte ich fast die gleiche Haarfarbe, wie Anne.“
Satorius setzte seine Tasse ab und lächelte Lorenzo an. „Es waren nicht nur deine Haare, die ich hinreißend fand.“
Lorenzo antwortete nicht, aber ich sah, wie sehr er sich freute.
Satorius wandte sich an mich: „Entschuldige bitte die Schulkleidung. Aber wir hatten nichts anderes in deiner Größe. Und Lorenzo hortet aus mir nicht nachvollziehbaren sentimentalen Gründen noch dutzende von diesen lächerlichen Uniformen.“
„Blau passt hervorragend zu Annes Teint“, warf Lorenzo leicht trotzig ein. Und zu mir: „Willst du Spiegeleier, oder Rühreier? Und wie magst du deinen Speck?“
„Rühreier. Und den Speck knusprig gebraten, wenn es keine Umstände macht“, erwiderte ich grinsend.
Lorenzo begab sich hinter die Kochinsel und hantierte mit verschiedenen Pfannen.
„Was steht heute an?“, fragte Satorius. Ohne es zu wollen, erstickte er damit meinen Anflug guter Laune, als wäre er nie dagewesen.
„Nach dem
Weitere Kostenlose Bücher