Wo die toten Kinder leben (German Edition)
legte Zeige – und Mittelfinger seiner rechten Hand an die Schläfe und wartete.
„Sie sagten, ich hätte den Entführer gefoltert. Und deswegen darf ich mein Kind nicht mehr sehen. …Ich hätte den Mistkerl töten sollen.“ Ich erhob mich abrupt, stieß dabei an den Tisch, das Geschirr wackelte und mein Kaffee, der bereits kalt war, schwappte über. „Ich muss jetzt gehen“, sagte ich.
„Wir sehen uns doch wieder?“, fragte Satorius.
Ich zögerte, bevor ich antwortete: „Vielleicht.“
Ich ließ Satorius im Esszimmer zurück, holte meine Jacke und ging hinaus zu meinem Wagen. Bald würde ich das Präsidium betreten, in dem ich fast ein ganzes Jahrzehnt tätig gewesen war. Ein Umstand, der mich nicht kalt ließ – schon gleich gar nicht nach meinem soeben geführten Gespräch mit Satorius.
23
A cht Jahre hatten wir zusammengearbeitet und jetzt saß ich vor seinem Schreibtisch und er betrachtete mich wie eine Fremde. Er versuchte, nett zu mir zu sein, bemühte sich hin und wieder um ein Lächeln, aber ich kannte ihn genau. Seine vorsichtigen Fragen, seine unverbindlichen Kommentare – all das deutete darauf hin, dass die Vertrautheit, die einst zwischen uns bestanden hatte, verloren gegangen war.
Polizeioberkommissar Ralf Lambrecht schob die Fotos, die ich ihm mitgebracht hatte, auf seinem Schreibtisch umher. Er ordnete sie rechtwinklig auf seiner Tischplatte an. Das tat er aber nur, weil er nicht wusste, was er mit mir reden sollte.
„Und“, fragte er schließlich, „wo hast du die gefunden?“
„Ich bin zufällig darüber gestolpert.“
„Zufällig?“ Er lehnte sich zurück und musterte mich aus halb gesenkten Lidern hindurch.
„Ja, ich habe in einem Selbstmord ermittelt und da stieß ich auf eine Speicherkarte mit dieser Datei.“
„In einem Selbstmord? Seit wann ermittelt man bei einem Suizid?“
„Ach“, meinte ich, „nur so formales Zeug. Verwandte ausfindig machen, bestehende Konten zusammensuchen... Du kennst das ja.“
„Kannst du von solchen Routinearbeiten tatsächlich leben?“
Ich lächelte. „Wenn ich keine allzu großen Sprünge mache – dann schon.“
Er bedachte mich erneut mit einem nachdenklichen Blick und sah zurück auf die Bilder, die vor ihm auf der Tischplatte lagen. „Typische Kinderpornographie. Der Täter ist kaum zu erkennen. Der Ausschnitt des Gesichts reicht höchstwahrscheinlich nicht dazu aus, ihn zu identifizieren. …Wir werden es trotzdem probieren. Vielleicht ist es ein Bekannter deines Suizidopfers.“
„Soweit bin ich auch schon gekommen. Ich kann dir den Namen und seine bisherige Adresse sagen.“
„Bisherige?“
„Als ich ihn zur Rede stellen wollte, hat er sich verdrückt.“
„Kannst du mir die Adresse gleich geben?“
„Sie steht auf dem Blatt, das sich bei den Fotos befindet.“
Ralf schob die Bilder auf seinem Schreibtisch beiseite, bis der entsprechende Zettel zum Vorschein kam. Er zog ihn heraus, las Namen und Adresse. Dann pfiff er durch die Zähne. „Junge, Junge. Ein Priester!“, sagte er.
„Ein Kaplan“, berichtigte ich ihn.
„Diese Pfaffen“, sagte er verächtlich. „Das sind doch alles verkappte Kinderschänder und Perverse!“
„Bei weitem nicht alle“, korrigierte ich ihn, mehr als eine Spur zu heftig.
Erstaunt horchte er auf und wieder hielten mich seine Augen für kurze Zeit fest. „Du warst doch früher nicht gut auf die Kirche zu sprechen.“
„Bin ich auch jetzt nicht. Aber ich habe mir angewöhnt, Vorurteile nicht zu verallgemeinern.“
Er zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer. Ich werde mit den Beweisen zum Staatsanwalt gehen. Und sobald wir die Identität des Mannes verifiziert haben, werden wir einen Haftbefehl erlassen.“
Ich erhob mich aus dem Besucherstuhl, in dem ich gesessen hatte. Mittlerweile fühlte ich mich unbequem und ich konnte es kaum erwarten, aus dieser Enge herauszukommen.
„Wie geht’s dir sonst so?“, fragte er unvermittelt. Er stand jetzt ebenfalls. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, die blauen Flecken, die ich an deinem Hals erkenne, sind Würgemale.“
Ich lächelte. „Du irrst dich. Wenn dem so wäre, hätte ich garantiert noch jemanden bei dir angezeigt.“
Er nickte und wies in Richtung meiner Hüfte. „Du trägst deine Waffe? Hast du deinen Schein zurückbekommen, oder muss ich dich jetzt verhaften?“
„Ich habe einen Waffenschein.“
„Nimm‘s mir nicht übel, aber das hätte ich nicht gedacht.“
„Tja“,
Weitere Kostenlose Bücher