Wo die toten Kinder leben (German Edition)
wirklich!“ Ich kostete von meinem Kaffee.
„Aber mit den Suiziden sind wir noch nicht weitergekommen“, bedauerte Paul.
„Wir haben es vorhin schon besprochen“, sagte ich. „Wir werden an den Anfang unserer Ermittlungen zurückgehen. Wir werden ganz von vorne beginnen.“
„Habt ihr nicht eine Liste von Frau Heinze bekommen?“, fragte Lorenzo. „Eine Liste mit Cornelias Freunden?“
Ich nickte. „Ich hoffe, irgendeiner von denen wird den Schlüssel für die Tür in der Hand halten, hinter der sich die Lösung des Rätsels verbirgt.“
„Unsere Anne wird ja richtig poetisch“, neckte mich Lorenzo.
„Das ist euer schlechter Einfluss“, grinste Paul. „Ihr könnt es einfach nicht lassen, andere Menschen zu erziehen und zu verbessern.“
„Nicht doch“, meinte Satorius. „Wir sind in Rente.“
„Ich will auch in Rente“, seufzte ich.
Wir lachten alle.
Das Telefon klingelte. Lorenzo stand auf und ging aus dem Raum, um den Anruf anzunehmen. Kurze Zeit später kehrte er zurück. Sein Gesicht wirkte ernst und angespannt. „Paul muss sofort ins Krankenhaus.“
„Was ist passiert?“, fragte Satorius alarmiert.
„Wittgen hatte einen Unfall. Er ist schwer verletzt und wird die Nacht vermutlich nicht überleben. Er verlangt nach einem Geistlichen. Er will Paul.“
37
D er Gang in der Klinik schien endlos und war nur sparsam von Neonleuchten erhellt. Es roch nach antiseptischen Mitteln, nach Krankheit und Leid. Die Stationsschwester, die uns vorausging, legte einen wahrhaftigen Stechschritt an den Tag. Ihre Birkenstockschuhe klapperten leise übers Linoleum. Sie nahm keinerlei Rücksicht, ob wir ihr folgen konnten.
„Was fehlt Herrn Wittgen genau? …Die Beamten der JVA meinten, er sei eine Treppe heruntergestürzt?““, erkundigte sich Paul kurzatmig, während er sich bemühte, mit der Schwester mitzuhalten, was ihm wegen seiner Verletzung alles andere als leicht fiel.
Die Schwester sprach nach vorne, ohne uns eines Blickes zu würdigen, mit einer Gleichgültigkeit, als würde sie über das Wetter reden. „Er ist mit einem Leber- und Milzriss eingeliefert worden. Die Ärzte haben ihn operiert. Zweimal. Aber es gelingt ihnen nicht, die innere Blutung vollständig zu stoppen. Allem Anschein nach stimmt etwas mit der Gerinnung nicht. Das können wir im jetzigen Stadium aber nicht mehr beheben. Wir können ihm das Sterben nur noch erleichtern.“
„Wie lange hat er?“, fragte ich.
„Ein paar Stunden. Es kann aber auch schneller gehen“, kam die prompte Antwort.
Wir erreichten eine Glastür. Die Stationsschwester blieb stehen und machte eine herrische Handbewegung, die uns eintreten ließ. Vor uns befand sich eine Art Plastikvorhang.
„Die Intensivstation ist vom Prinzip her wie ein Großraumbüro aufgebaut“, sagte sie. „Einzelne Nischen, voneinander abgeteilt. Ihr Patient liegt ganz hinten rechts. Er ist bei Bewusstsein und weiß, wie es um ihn steht.“ Sie schlug den Vorhang zurück und wir betraten einen Gang, der beidseitig von aneinandergereihten kleinen Abteilen begrenzt wurde, in denen sich jeweils ein Patient befand. Die Luft war von Piepstönen diverser medizinischer Apparate erfüllt, unterlegt von rhythmischen Geräuschen einiger Beatmungsgeräte und den gelegentlichen Lauten der Patienten.
„Da bist du ja endlich, Judas!“, zischte uns eine Stimme entgegen. Wittgen lag auf einem hohen Krankenbett. Sein Kopfkeil war aufgestellt. Seine Augen brannten in einem aufgedunsenen Gesicht, das ich fast nicht wiedererkannte.
Wir traten näher.
Was ich von Wittgens Armen sehen konnte, schien formlos und geschwollen. Er war an zahllose Schläuche angeschlossen, die wie überdimensionale Marionettenfäden von ihm herabhingen. Im Hintergrund pulste ein computergesteuertes EKG.
Über Wittgens Gesicht huschte jetzt eine Art Zucken. Es dauerte eine Zeitlang, bis mir klar wurde, dass er versuchte, zu lächeln. „Na, freut es euch, mich hier so zu sehen?“
Paul antwortete nicht.
„Das ist alles deine Schuld. Und das hast du…“, sagte er zu Paul. Er versuchte, seinen Arm zu heben, um auf Paul zu deuten, allein im fehlte die Kraft. „Das ist alles deine Schuld!“, wiederholte er matt. „Du hast es zu verantworten, dass ich hier so liege.“
Paul fuhr sich mit dem Rücken seiner Hand über den Mund und nahm sich mit der Antwort Zeit. „Sie befinden sich hier, weil Sie einen Unfall in der JVA hatten. Und in die JVA sind Sie gekommen, weil Sie Kinder missbraucht haben.“
„Das war kein
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