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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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für dich fühlt sich alles noch aufregend an, und das möchte ich durch dich auch wieder spüren. Ich will, dass du das alles mit mir teilst. Für mich ist das Leben schal geworden, weil ich das alles schon geschmeckt und erfahren habe. Ich will nicht ein weiteres Leben in Einsamkeit verbringen. Sei mein Freund, Joey. Wir können zusammen die Welt bereisen. Ich hab genug Geld und Geschäftssinn, um dich berühmt zu machen. Denn das hast du bei deiner musikalischen Begabung verdient – zu erreichen, was deinem Vater verwehrt blieb, nämlich Unsterblichkeit. Ich habe bereits Dutzende von Leben hinter mir, und doch fühlt es sich so an, als hätte ich noch nie wirklich gelebt. Aber diesmal werden du und ich jede Erfahrung teilen und durch dich wird das für mich alles erst wirklich werden.«
    »Du bist krank im Kopf«, sagte ich. »Genauso krank wie Thomas.«
    Shane blickte zur Tür. »Und du wirst auch krank werden, wenn du auf mein Angebot nicht eingehst und einfach zur Tür hinausspazierst. Krank vor Neugierde. Ich biete dir Ruhm und Ehre an, Joey. Ich kann dich berühmt machen. Erzähl mir nicht, dass dich das nicht reizt. Der Versuchung nachzugeben liegt dir ja im Blut. Hast du deine Mutter gestern nicht betrunken auf dem Sofa gefunden?«
    »Sie hat den Wodka in die Spüle gekippt.«
    »Ein Grund mehr, nicht länger bei ihr zu bleiben – ihr seid einfach zu verschieden. Du gleichst viel stärker deinem Vater. Sobald dein Vater in Versuchung geführt wurde, musste er es haben. Wird Zeit, dass du auf den Geschmack kommst, Joey. Lass mich für deine Berühmtheit sorgen. Hey, das wird für uns beide eine Riesenparty werden, noch besser als alles, was ich damalsim Hellfire Club erlebt habe. Wenn du jetzt zur Tür hinausgehst, wirst du den besten Freund verlieren, den du je hattest.«
    Ich stand auf, um zu gehen. »Wer auch immer du bist, mein Freund jedenfalls nicht.«
    »Ein guter Freund würde alles für dich tun. Hier zum Beispiel.« Shane langte unter sein Bett und zog eine Tonbandspule hervor. »Bongo Drums hat einen riesigen Speicher. Weißt du, wie viele alte Schachteln ich aufmachen musste, bis ich das Demotape gefunden hatte? Und dann musste ich auch noch das Haus durchwühlen und ein paar andere wertvolle Dinge mitgehen lassen, wenn nämlich nur das eine Band gefehlt hätte, wäre der Verdacht sofort auf dich gefallen. Als er auch noch unerwartet früh nach Hause kam, war ich leider gezwungen eine Maske aufzusetzen und ihm einen kräftigen Haken zu verpassen – alles nur für dich.«
    »Ich habe nichts damit zu tun.«
    »Hast du dir die Kopie von dem Tape angehört?«
    »Nein.«
    »Dann hör dir das jetzt mal an. Ich muss jeden Tag Dutzende von toten Stimmen in mir ertragen. Da kannst du jetzt schon auch mal den Mut haben, dir die Stimme deines Vaters anzuhören.«
    »Fahr doch zur Hölle!«, stieß ich hervor. Trotzdem blieb ich wie gebannt sitzen, als Shane das Band in ein altes Tonbandgerät einlegte.
    »Ich bin schon in der Hölle«, antwortete Shane ruhig. »Blackrock ist meine Hölle. Ich kann diesem Ort nicht entkommen, selbst wenn ich um die ganze Welt reise. Ich war ein stummer Schweineschlachter, ein Mörder, ein Lüstling, ein Kapitän, ein Mönch, ein Stallbursche. Ich habe in einem Weizenfeld einmal eine junge Frau verführt, die mit Nachnamen Fleming hieß,und mehrere Jahrhunderte später ihre Urururenkelin beim Einbruch in meinen Unterschlupf ertappt, ein rehäugiges, verängstigtes Mädchen.«
    Ein leises Klicken zeigte an, dass das Band zurückgespult war. Shane wollte schon auf die Taste drücken, um es abspielen zu lassen, da hielt er noch einmal inne.
    »Du wirkst so zornig, Joey, und auch ängstlich. Ich wünschte, ich könnte diese Gefühle verspüren. Ich gäbe zwanzig Jahre meines Lebens, um einen einzigen Tag lang du zu sein. Aber das ist leicht gesagt, wenn ich sowieso nicht sterben muss. Ich besitze Unsterblichkeit. Genau was dein Vater immer wollte.«
    Ich brauchte dringend frische Luft. Ich wollte nur noch weg aus Shanes Zimmer und schaffte es sogar, die Tür zu öffnen und ein paar Schritte in den Hausflur von Mrs Higgins zu tun. Doch weiter kam ich nicht, weil mich die Stimme, die jetzt vom Tonbandgerät zu hören war, wieder zurücklockte. Eine Stimme, die zugleich fremd und vertraut klang. Sie befahl Ben Quinn und den anderen Musikern, noch mal von vorn anzufangen. Dann begann mein Vater zu singen. Ein zärtliches und trauriges Lied, das atemberaubend schön war. Shane

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