Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Titel: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Blaxill
Vom Netzwerk:
hatte, aus dem Mund ihrer Schwester zu hören. »Du schwänzt.«
    Sie nickte. »Du hast mich drum gebeten.«
    Â»Geh lieber wieder.«
    Â»Aber jetzt bin ich hier«, sagte sie. »Wir werden Freya finden.«
    Â»Bist du deswegen letztes Mal nicht gekommen? Weil du du bist?«
    Noch ein Nicken.
    Â»Warum hast du gelogen? Als wir das erste Mal miteinander geredet haben, war ich doch bloß irgendein x-beliebiger Typ.«
    Â»Keine Ahnung.« Es schien ihr wirklich peinlich zu sein. »Ich glaub … na ja, du hast Sachen gesagt, die mich zum Nachdenken gebracht haben. So hat noch nie jemand mit mir geredet, vor allem kein Junge. Und dann hast du mich zum Lachen gebracht, wir fanden dieselben Fernsehserien gut, und ich hab einen Freund gebraucht.« Sie presste die Lippen aufeinander und sah schnell woandershin. »Ich bin dieselbe, die ich online und am Telefon war. Der Unterschied ist nur, dass du jetzt mein Gesicht sehen kannst. Ich weiß, ich bin nicht so hübsch wie meine Schwester.«
    Â»Ich hab gar nichts dagegen, wie du aussiehst«, sagte ich. »Es ist nur so … also, ein paar Sachen hätte ich vielleicht nicht gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass du vierzehn bist.«
    Â»Aber du hast es getan, und du hast nichts gemerkt«, sagte sie leise. »Wir sind nur zwei Jahre auseinander – das ist gar nichts.«
    Sie schaute auf den Boden, die Schultern hochgezogen. Plötzlich tat sie mir leid. Ich sollte ihr keine Vorwürfe machen, weil sie gelogen hatte. Schließlich wusste ich, wie es war, wenn man sich einsam fühlt.
    Â»Okay, Rosalind, wir könnten da jetzt noch Stunden drüber reden, aber ich muss Freya finden. Wenn du wirklich nicht zurück in deine Schule willst, kannst du gern mitkommen und mich durch London lotsen. Vielleicht fällt uns ja unterwegs was ein.«
    Sie nickte und wir gingen schweigend zu den Rolltreppen.
    Rosalind
    14.10 Uhr
    Wie klein kann man sich fühlen, bevor man endgültig verschwindet?
    Ich fühlte mich kindisch.
    Ich fühlte mich hässlich.
    Ich fühlte mich bescheuert, weil ich so getan hatte, als wäre ich jemand anders.
    Nach all dem, was wir uns online gegenseitig anvertraut hatten, hatten wir uns jetzt, abgesehen von blödem Smalltalk, nichts zu sagen. Ich erklärte ihm das U-Bahn-System viel genauer als nötig, weil ich Angst vor der Stille hatte. Jonathan hörte höflich zu und überließ mir den einzigen freien Platz, als wir in einen Waggon eingestiegen waren. Um mich aus dem Weg zu kriegen vielleicht, weil ich ihm peinlich war. Wir sprachen uns mit Rosalind und Jonathan an, nicht mit Ros und Jono. Es war, als hätten wir vorher nie miteinander geredet.
    Mir war zum Heulen, aber ich heulte nicht, weil ich wusste, dass ich selber schuld war.
    Wir stiegen in Richmond aus. Jonathans Fahrt zum Konservatorium hatte nichts ergeben und er wollte sich noch mal in Freyas Zimmer umsehen. Auf dem Weg zur Ridgemont Street tat ich so, als würde ich nicht wissen, wo wir hingingen.
    Â»Weißt du was«, sagte Jonathan, »am meisten überrascht mich eigentlich, wie klein du bist. In meiner Vorstellung warst du viel größer.«
    Ich merkte, dass er nett sein wollte, aber das nützte auch nichts. Ich spielte trotzdem mit. »Echt? Und ich dachte immer, du wärst kleiner.«
    Er lächelte mich schief und wenig überzeugend an. Ich lächelte genauso zurück und tat so, als ob alles in Ordnung wäre.
    Jonathan holte den Schlüssel aus einem Busch neben dem Eingang und wir betraten das Haus.
    Â»Ist okay«, sagte er, als er mein Gesicht sah. »Ihre Tante ist im Urlaub.«
    Ich blieb hinter der Schwelle stehen, betrachtete den sauberen cremefarbenen Teppich, die gerahmten Fotos an der Wand, die Mäntel, die links von mir ordentlich an der Garderobe hingen. Das war Freyas Zuhause, Freyas Leben. Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn sie plötzlich zurückkommen und mich hier finden würde – das Mädchen, das sie gestalkt hatte.
    Â»Rosalind?« Jonathan war schon halb die Treppe hoch. »Komm schon.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Das fühlt sich irgendwie falsch an.«
    Â»Es ist okay, keiner wird je davon erfahren. Wir wollen ja schließlich nichts klauen oder so was.«
    Obwohl ich Freyas Sachen nie angefasst hatte, kam es mir fast so vor, als ob ich sie schon bestohlen hätte. Aber was blieb

Weitere Kostenlose Bücher