Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
auf alle hochprozentigen Flaschen. Deshalb wurde der berühmte isländische Kartoffelschnaps mit Kümmelgeschmack, namens Brennivín, den ich eben noch trank, auch »Schwarzer Tod« genannt – und natürlich trotzdem getrunken
(Übrigens brennt er im Mund wie Feuer und hat man zu viel davon, wird das Blut zur brodelnden Lava. Er schmeckt ein bisschen wie Aquavit). Erst in dem Jahr, in dem bei uns die Mauer fiel, fiel in Island das Bierverbot. Seit 1989 ist Starkbier in Island erlaubt, weshalb die Isländer jedes Jahr am 1. März den »Biertag« feiern.
Das Flattern der Nacht
Und so ziehen wir los. Vom Wikingerrestaurant in Hafnarfjörður aus geht es direkt auf die Laugavegur. Denn dort, auf jener Straße, die tagsüber so harmlos wirkt, bricht nachts etwas aus. Plötzlich und wie nach einem großen Knall, schwirren Horden quirliger Wesen umher, festivalartige Menschenströme ergießen sich auf die Straße. Was tagsüber noch ein Café war, hat abends die Stühle weggeräumt und ist Bar mit Tanzfläche geworden.
Die isländischen Nachtschwärmer ziehen von einer zur anderen. Als gäbe es keine Zeit zu verlieren. Für nichts. Die Handys ewig gezückt, die nächste Kneipentür schon in der Hand, das nächste Bier schon halb bestellt, tänzeln sie von Ort zu Ort. Lauter kleine Björks und große Rocker. Mit Faible für Underground und für Extreme. Coole Mädchen mit bunten Strumpfhosen unter todschicken Teilchen, an den Füßen dünne Schühchen, selbst wenn Winter ist, neben tätowierten Jungs in lässigen Lederjacken.
Schnell ist man in Gespräche verwickelt über Klaus Kinski oder Christoph Schlingensief (»Ist das nicht eine Art Kunst-Terrorist aus Deutschland?«) oder man wird dem Mitglied »einer
der besten Bands Islands« vorgestellt. Davon muss es in Reykjavík Hunderte geben.
Die Atmosphäre platzt fast vor Dringlichkeit. Und niemand bezahlt seine Getränke jemals bar, sondern ausschließlich mit Karte. Ein Mädchen knallt ihren Drink mit voller Wucht auf den Tresen. Der Inhalt schäumt, schießt in die Höhe wie ein Geysir und verschwindet blitzschnell in ihrem Rachen. »Tequila mit Sprite«, erklärt jemand. »Wenn du das auf den Tresen knallst, explodiert es – und du bist innerhalb von Sekunden besoffen.« – »Let’s drink till we drop«, ruft ein anderer. Und spätestens jetzt weiß man, das Nachtleben ist ausgebrochen. Energiegetränkt und unbekümmert und durch nichts mehr zu bremsen. Die Bars sind zum Bersten voll. Ein Drängeln, Tänzeln und Torkeln allerorten. Ein Feiern, als gäbe es kein Morgen. Weil morgen doch eh wieder alles anders ist.
Und draußen auf der Laugavegur ist derweil Stau, weil jene, die noch nicht in die Clubs hineinkommen, den ganzen Abend lang im Auto um den Block fahren. Rúntur (Runden drehen) nennt sich das und ist aus Amerika abgekupfert, wo man das Ganze als »cruisen« bezeichnet. Und da sitzen sie dann, die Jugendlichen im T-Shirt mit Eis oder Cola in der Hand bei voll aufgedrehter Autoheizung. Sobald man jemanden auf der Straße entdeckt, den man kennt, wird angehalten. Also dauernd. Doch das stört keinen. Es gehört alles zum Tanz.
Irgendwann muss ich auf die Toilette. Nichtsahnend stehe ich davor und warte, dass endlich die Tür aufgeht. Hinter mir zwei hübsche Isländerinnen, in jenem Zustand der Reykjavíker Nächte, der ein glückseliges Flattern ist. Dann geht die Tür auf und alles ganz schnell. Ich gehe hinein, die beiden Mädchen drängen hinterher. Erst denke ich noch, dass es mehrere Klos gibt. Aber das ist ein Irrtum. Und so finde ich mich in einem kleinen,
engen Bad wieder. An die Tür gepresst. Während die eine Isländerin ins Waschbecken kotzt und die andere auf dem Klo sitzt, pinkelt und sich dabei unterhalten will. »Du bist also Schriftstellerin?«, fragt sie. »Ähh, Journalistin«, stottere ich. Dann sehe ich zu, dass ich rauskomme. Bei meinen Kollegen angekommen, sage ich: »Ihr glaubt nicht, was mir eben passiert ist.«
Sie sagen: »Willkommen in Island!«
Kurz darauf demonstriert sich mein Unwissen ein weiteres Mal. Ich will mich verabschieden. Ich sage: »Ich hau ab, ich kann nicht mehr.« Die Kollegen gucken mich mit großen Augen an. »Dann nimm wenigstens einen Schnaps!«, sagen sie. Schon habe ich einen in der Hand und das Flattern geht weiter. Ich sage: »Nein, nein, ich meinte, ich gehe jetzt.« Doch auch das wird nicht akzeptiert. Bis ich irgendwann begreife, dass man sich nicht verabschiedet. Wer nicht mehr kann, schleicht
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