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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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von mir, es solange hinauszuschieben. Aber natürlich sind alle Ärzte hoffnungslose Patienten.«
    »Sir Lancelot ist ein komischer Hinterwäldler, nicht wahr?«
    Dr. Bonaccord öffnete die Augen. »Meine Liebe, er ist völlig labil. Seine Ausbrüche sind echt psychotisch. Ich stufe ihn als einen Menschen mit Gemütsschwankungen ein, der eine starke Tendenz zur Hypomanie und zu paranoiden Wahnvorstellungen hat. Wohl das unverläßlichste Temperament für einen Chirurgen - in der Tat absolut gefährlich. Vielleicht war es ganz gut, daß er sein Alter oder was sonst fühlte und jetzt halb aktiv und halb im Ruhestand ist. Nebenbei hat er eine in jeder Weise beleidigende Meinung über Psychiater und macht - aus Mangel an Manieren - nicht einmal den Versuch, mit dieser Meinung hinterm Berg zu halten.«
    »Leider denken viele so, Liebster.«
    Dr. Bonaccord stieß einen tiefen Seufzer aus. »Unser unglückseliges Image hält sich schrecklich lang. Du weißt doch: ein Mann mit Bart und einem starken mitteleuropäischen Akzent, offensichtlich viel verrückter als der Patient. Die Leute glauben, wir sind Zauberer mit übernatürlichen Gaben oder - weniger günstig - bloße Clowns. Das ist die zwiespältige Haltung, die sie vermutlich jedem gegenüber einnehmen, vor dem sie wirklich Angst haben.« Gisela fuhr fort, seinen Unterleib mit ihren langen Fingern zu streicheln. »Weißt du, daß es in Wien - sozusagen dem Gewächshaus, aus dem die Angstpsychosen, Wahnvorstellungen, Komplexe und all das übrige in die Köpfe der Welt verpflanzt worden sind - kein Denkmal für Sigmund Freud gibt? Für Mozart, Beethoven und ein weiteres Dutzend Komponisten ja. Wo ist der Sinn dieser Menschen für Werte?«
    »Oh, ich war damals ganz hingerissen von unserem Urlaub in Wien«, sagte Gisela leise. »Die prächtige Hofburg, die man sich so gut zu Zeiten Franz Josephs mit all den Pferden und Soldaten vorstellen kann...«
    »Bevor man Wien zum abgeschlagenen Haupt eines toten Weltreichs machte.«
    »Die verträumte Musik. Die köstlichen Torten.«
    »Und doch - es ist großartig, ein Psychiater zu sein. Ich weiß weit mehr über den Geisteszustand meiner Nachbarn als sie selbst. Ich könnte für die einfachsten Handlungen des Dean Motive aufzeigen, die seinen Zorn, ja mehr noch seinen Ekel erregen würden. Selbst die Fetzen aus den Träumen des Menschen, die am Morgen eingesperrt und tief in die Schächte des Gedächtnisses versenkt werden -wenn ich sie einmal entwirre, dann sagen sie mir mehr als den Träumern. Ich weiß um die wirbelnden Strömungen unter der Oberfläche ihres Bewußtseins, die ihnen mehr zu schaffen machen, als sie sich wahrscheinlich vorstellen - so wie den Bewohnern mittelalterlicher Häuser die unterirdischen Kanäle. Ich habe die seltsame Geheimschrift des menschlichen Denkens entziffert - du hast mit dem Massieren aufgehört.«
    »Ich habe einen Krampf in den Fingern.«
    »Trotz allem verstehen die Leute nicht einmal die einfachsten psychologischen Begriffe. Weißt du, daß Sir Lancelot vor kurzem im St. Swithin in schallendes Gelächter ausbrach, als ich erklärte, daß das glückbringende Hufeisen nichts anderes symbolisiert als die weiblichen Genitalien? Und doch drängt sich das einem geradezu auf. Wenn die Menschen nur vernünftig und normal sein könnten!« Er stieß einen langen pfeifenden Seufzer aus. »Wie ich. Alles, wonach ich mich sehne, ist ein wenig Zuneigung und Zärtlichkeit, nicht wahr? Ich glaube ehrlich, daß ich einer der ganz wenigen völlig ausgeglichenen Menschen auf der ganzen Welt bin.«
    Sie küßte ihn wieder - diesmal mit einer schnellen Berührung ihrer Zunge gegen seine vorgewölbte Stirn.
    »Ich glaube, ich werde wirklich den alten Dean, sobald er nach Hause kommt, wegen meines Magens aufsuchen. Ich höre ihn ja seine Wohnung betreten. Diese Häuser haben wirklich dünne Wände. Das Spital hätte ruhig etwas mehr springen lassen können.«
    »Dafür ist die Miete angenehm niedrig.«
    Dr. Bonaccord verstummte für einen Augenblick. »Erinnerst du dich an den Posten, weit weg von St. Swithin, der mir vorige Woche angeboten wurde? Vielleicht habe ich ihn etwas zu schnell abgelehnt, nur weil er nichts mit klinischer Psychiatrie zu tun hat. Ich glaube, wir sollten von hier wegziehen, Gisela.«
    »Aber warum denn?«
    »Vielleicht haben wir den Verdacht der Leute erregt.«
    Sie sah indigniert drein. »Ich habe meine eigene Wohnung - oder nicht?«
    »O ja... aber... nun, erinnerst du dich, wie der

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