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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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nur in der Küche weniger als die geschmeidige, blonde, tigerhafte Dame, die gerade mit kritischem Auge die Speisenkarte überflog.
    »Mein Gott, siehst du hungrig aus«, sagte sie aufblickend.
    Genau nach Plan spannte Frankie den Dean auf die Folter, bis Kaffee und Kognak serviert wurden und sie auf den Anlaß ihrer Einladung zum Mittagessen zurückkam.
    »Lionel, hast du an deine Zukunft gedacht?«
    »Ich glaube, ich habe keine. Ich habe alles erreicht, was ich mir vorgenommen habe.«
    »Dann biete ich dir neue Welten zur Eroberung an, mein lieber kleiner Alexander der Große. Was wäre, nach dem Dean, der nächsthöhere Rang?«
    »Es gibt keinen.« Er dachte einen Augenblick nach. »Außer vielleicht Vizekanzler einer Universität.«
    »Genau.«
    Der Dean richtete sich auf. »Aber das ist etwas, das jenseits meiner wildesten Träume liegt.«
    »Du würdest einen glänzenden Vizekanzler abgeben. Wenn du mit den Studenten von St. Swithin fertig wirst, so wirst du mit jedem fertig. Natürlich müßtest du übersiedeln.«
    »Oh, das würde überhaupt keine Rolle spielen«, sagte der Dean interessiert.
    »Und du müßtest St. Swithin völlig aufgeben.«
    »Ein momentaner Schmerz, der bald abklingen würde.«
    »Und auf deine Praxis verzichten.«
    »Wie du.«
    »Kann ich das so verstehen, daß du ein offizielles Angebot annehmen würdest?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Gut. Dann wird heute in einer Woche, nächsten Montag, ein Ministererlaß veröffentlicht werden. Ich bin natürlich im Senat der Universität. Man hat mich damit betraut, dich auszuhorchen. Wir sind eine verhältnismäßig neue Universität, aber das, glaub mir, gibt dir nur größere Möglichkeiten, deine eigenen Ideen, deine eigenen Methoden, deine Persönlichkeit zu verwirklichen.«
    Aus dem Kognakdunst tauchte verschwommen ein Gedanke auf, eine unbestimmte Sorge, deren sich der Dean bewußt wurde. »Welche Universität ist es denn eigentlich?«
    »Hampton Wick.«
    Der Dean griff erblassend nach dem Tischtuch.
    »Was fehlt dir, Lionel? Verdauungsstörungen?«
    »Nein... Hast du >Hampton Wick< gesagt?«
    »Sehr günstig vom Stadtzentrum zu erreichen. Du wirst weder auf den Verkehr mit deinen Freunden noch auf Theaterbesuche oder auf sonst etwas verzichten müssen. Was? So spät schon? Ich muß fort wie der Blitz. Um Punkt halb drei muß ich bei einer Besprechung über psychische Hygiene sein. Wo ist der Kellner? Sei ein Schatz und zahl die Rechnung, ich schicke dir später einmal einen Scheck. Dein Ernennungsdekret kommt noch in die heutige Post. Sag Josephine, daß ich sie herzlich grüßen lasse. Wie schade, daß ihr diese nette Miß MacNish verloren habt. Alles wird glattgehen, ich kann kaum deine Inaugurationsansprache erwarten, die du im Oktober an die Studenten halten wirst. Gib acht auf dich! Wiedersehen!«
    Der Dean saß da und hielt sich noch immer am Tischtuch fest. »Hampton Wick!« murmelte er. »Mein Gott, was habe ich getan? Was hab’ ich nur getan?«
     

5
     
    Hätte man an jenem Abend um sechs Uhr dreißig die eleganten, pseudogeorgianisch angehauchten Fassaden der Lazar Row weggeschoben und die kleinen Räume wie jene eines Puppenhauses freigelegt, so hätten sich drei verschiedene, wenn auch in ihrem überwältigenden Effekt gleichstarke Krisensituationen dargeboten.
    Im straßenseitigen Parterre-Salon von Nummer i lag Dr. Bonaccord, leise stöhnend, ausgestreckt auf einem großen Sofa mit breiten rosa und orange Streifen. Sein Kopf ruhte auf einem waffelähnlichen Kissen aus weißer Seide. Zu seinen Füßen stand eine Kristallvase, die mit gelben und weißen Nelken angefüllt war. An der mit weißer Rupfenleinwand tapezierten Wand hing das Ölgemälde eines Kornfeldes in wildesten Farben. Aus den Ecken ertönte, sehr leise, Mendelssohns Violinkonzert in Stereophonie. Die Augen des Doktors hinter der Brille waren geschlossen. Das Hemd war herausgezogen, die Hose vorne offen. Seine Sekretärin hockte neben ihm und massierte ihm den geröteten, prallen Unterleib.
    »Besser, Cedric?«
    »Mach weiter«, murmelte er.
    »Tut das weh?«
    »Hm... ein wenig. Obwohl ich glaube, daß es mir ganz angenehm ist.«
    Sein Mund öffnete sich. Sie bückte sich und küßte ihn zärtlich.
    Er hielt die Augen geschlossen.
    »Vielleicht war es gar kein so übler Wind, der Sir Lancelot heute hierhergeweht hat, Gisela? Ich hatte schon lange vor, jemanden wegen dieser verdammten Verdauungsbeschwerden zu konsultieren. Es war wirklich blödsinnig unprofessionell

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