Wo fehlt's Doktor?
seltsam?« fragte Muriel.
Er musterte seine Tochter von oben bis unten, mit einer Miene, als würde er ihr gerade zum erstenmal in seinem Leben vorgestellt. Niemals hatte er daran gedacht, daß sie an Männern interessiert sein könnte. Weder an Sharpewhistle noch sonst an einem Mann. Ihm war dies als ein begrüßenswertes Manko bei einer jungen Frau erschienen, eines, das es ihr ermöglichte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, eine vernünftige Einstellung zum Leben zu haben und in puncto Kleidung und Unterhaltung von erfreulicher Sparsamkeit zu sein. »Ich meine, kommt das nicht außergewöhnlich plötzlich?«
»Wir haben uns vor fünf Jahren kennengelernt, Vater, als wir im St. Swithin zu studieren begannen. Wir sind seither immer einen Großteil des Tages beisammen.«
»Eigentlich dachte ich, zwei Studenten eures Kalibers würden sich auf ihre Arbeit konzentrieren«, sagte der Dean, der sich gar nicht wohl in seiner Haut fühlte. »Daß ihr viel zu beschäftigt seid für irgendein... hm... Techtelmechtel, wie wir Sex zu meiner Zeit genannt haben.«
Sharpewhistle versuchte ein Lächeln. »Die Liebe findet immer einen Weg, Sir.«
»Wohl auch im Spital? Die Spülräume der Krankenstationen müssen wohl - unter anderen Umständen - eine Fülle von Gelegenheiten bieten.«
»Huck!« machte Muriel wieder.
Der Dean rieb sich nachdenklich die Hände. Obwohl er die Situation nicht vorausgesehen hatte, gingen ihm vage Erinnerungen an seine Jugendzeit im Kopf herum. Eine davon betraf Herkunft und Zukunft - in dieser Reihenfolge.
»Wer ist Ihr Vater?« fragte er den Freier.
»Er ist Gerichtsbeamter der mittleren Dienstklasse in Pontefract, Sir.«
»Bestimmt eine sehr faszinierende Arbeit. Und Pontefract ist sicher ein reizender Ort. Es gibt dort ein Schloß und irgendwelche Mehlspeisen, wenn ich nicht irre. Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?«
»Ich hoffe, die St.-Swithin-Goldmedaille zu erringen,
Sir.« Er lächelte Muriel zu. »Wenn meine Verlobte sie mir nicht wegschnappt.«
»Ihre Verlobte? Wer ist denn das? Ach ja! Nun gut.« Der Dean machte eine Pause. »Von mir bekommt ihr, wohlgemerkt, keine Unterstützung. Das könnt ihr euch gleich aus dem Kopf schlagen. Mir zieht das Finanzamt bereits das letzte Hemd aus. Was heißt Hemd? Auch die Unterwäsche. Ihr könnt auch nicht bei uns wohnen. Wir brauchen jeden Quadratzentimeter.«
»Ich hoffe, daß mir meine Gewinne im IQ-Quiz die Anzahlung auf ein kleines Haus einbringen, Sir.«
Der Dean nickte. Er war weder mit dem IQ-Quiz noch mit sonst etwas, das im Fernsehen gesendet wurde, einverstanden. Aber es würde sehr angenehm sein, Muriels Oberstock freizubekommen - als separiertes Arbeitszimmer und Bibliothek für ihn selbst. Abgesehen von allem andern würde er ein wenig weiter weg von Sir Lancelots Zwiebelgeruch sein. Er faßte seinen zukünftigen Schwiegersohn näher ins Auge. Adonis war das keiner. Der Dean fragte sich, ob Sharpewhistle nicht irgendwie abnorm war, ein an Übergewicht leidender fleischgewordener Gartenzwerg. »Ihr werdet bestimmt überaus gescheite Kinder haben«, sagte er tröstend.
»Muriel, du zitterst ja!«
»Die Gefühlserregung, Vater!«
»Darf ich annehmen, daß Sie einverstanden sind, Sir?« fragte Sharpewhistle.
»Ja. Hm ja. Ich denke, hm ja.«
Muriel sagte leicht irritiert: »Glaubst du nicht, daß man auch Mutter fragen sollte?«
Der Dean fuhr zusammen. Daß die Sache auch Josephine etwas angehen könnte, hatte er ganz vergessen. Ein angenehmer Gedanke erhellte sein Gesicht. »Ich hol’ sie aus der Küche. Und ich glaube, das ist ein Anlaß, Champagner zu trinken, was meint ihr? Ich erinnere mich gerade, daß ich voriges Jahr zu Weihnachten eine Flasche in den Kühlschrank gelegt habe und nie dazugekommen bin, sie zu öffnen. Oder vielleicht war es vorvoriges Jahr zu Weihnachten?... Also, benehmt euch!«
Mit dem verschmitzten Grinsen, das man neuverlobten Paaren schenkt und das die Vermutung ausdrückt, die beiden warteten nur darauf, sich, kaum alleingelassen, allen möglichen Intimitäten hinzugeben, stürzte der Dean aus dem Salon.
Sharpewhistle ließ die Luft aus seinen Wangen ab. »Nun, das wäre erledigt.«
»Ich hab’ dir gesagt, daß es gutgehen wird. Mein Vater ist ein richtiges Lamm, wenn man ihn nur entsprechend zu behandeln weiß. Ich kann nicht verstehen, weshalb du so viele Umstände gemacht hast.«
»Gib zu, du hast mir nicht viel Zeit zum Überlegen gelassen. Es ist ja kaum eine Stunde vergangen,
Weitere Kostenlose Bücher