Wo geht's hier nach Arabien
es jedem Franzosen per Gesetz erlaubt sei, algerisches Land bis zu 100 Hektar zu kaufen. Der Preis dafür betrage um die 30 Francs, der echte Wert belaufe sich auf 300 Francs. Für sage und schreibe 40 000 Francs dürfe man es wieder an einen Algerier verkaufen. Wasser auf die Mühlen des kranken Kommunisten-Opas.
Das Wetter bessert sich. Die wenig aufregende Abwechslung von Ruhe und Spaziergang zermürbt. Karl Marx geht zum Photographen. Es wird das letzte Foto von ihm werden. Es zeigt ihn so, wie man ihn kennt: Rauschebart, geschlossene Lippen, hohe Stirn, nur die Haare sind inzwischen schlohweiÃ. Im Lauf der Wochen bessert sich das Klima, die Temperaturen klettern in die Höhe. In der Einsamkeit kommt Karl Marx plötzlich auf einen spektakulären Gedanken. Langsam wird ihm nämlich sein Rauschebart in der algerischen Frühlingssonne zu warm. Spontan oder reiflich überlegt, wir wissen es nicht, geht Karl Marx zum Friseur. Er lässt sich sein Haar kurz schneiden und den Bart völlig abrasieren. Als er den Friseursalon verlässt, existiert das Symbolgesicht des Kommunismus nicht mehr. Er lässt sich noch einmal fotografieren. Auf dieser Aufnahme muss ein älterer Herr zu sehen sein, schön glatt rasiert, gepflegt, der fast kahle Schädel über einem sauberen Anzug. Dieses Foto ist bis heute verschollen, liegt vielleicht irgendwo zwischen alten KGB-Dokumenten, und kein Mensch würde je darauf kommen, dass dieser unbekannte Mann ohne Bart der weltberühmte Karl Marx sein könnte.
Der Philosoph und Journalist Marx, in Trier in gutbürgerlichem Umfeld aufgewachsen, hat den Sozialismus nie als Utopie gesehen, sondern als Wissenschaft, was die historischen Entwicklungen bestätigen. Sonst hätten die Politikwissenschaftler in ihren Doktorarbeiten nicht zu unterscheiden zwischen den tausend Arten von Kommunismus, angefangen vom Marxismus über den Maoismus, Trotzkismus, den Realsozialismus, Reform- und Eurokommunismus, bis hin zu Stalinismus und Neomarxismus. Am Ende seiner Reise sind ihm seine Theorien einerlei, Marx kauft Souvenirs ein. SüÃigkeiten für die Enkel, Schnickschnack und üblicher Touristenkram, Pfeifenköpfe und Zigarren, und für seinen Freund Friedrich Engelsâ einen arabischen Dolch. Bei der Abreise hat es 30 Grad. Man steigt abends auf das Schiff, und Marx fährt den gleichen Weg zurück in sein Londoner Exil. Die Gesundheit verschlechtert sich rapide, einige Monate später stirbt er. Nur elf Trauergäste stehen am offenen Grab. Auch wenn man es heute nicht mehr hören will, oft schon haben sich die Analysen der beiden Kommunisten als richtig herausgestellt. Engels schrieb einmal: » Indien macht vielleicht Revolution, sogar sehr wahrscheinlich, und da das sich befreiende Proletariat keine Kolonialkriege führen kann, würde man es gewähren lassen müssen, wobei es natürlich nicht ohne allerhand Zerstörung abgehen würde. (â¦) Dasselbe könnte sich auch noch anderwärts abspielen, z. B. in Algier und Ãgypten.«
Im Frühjahr 2011 war es dann so weit.
Nichts steht geschriebenâ¦
W as soll denn das? Plötzlich machen sie Revolution und sagen uns nicht einmal Bescheid. Alles begann mit einem einzigen Menschen. Ein verzweifelter, von der Polizei und der tunesischen Bürokratie gegängelter junger Obstverkäufer zündet sich in Sichtweite der Touristenhochburgen Nordtunesiens an. In kürzester Zeit implodiert eine ganze Diktatur, und die tunesische Präsidentengattin verfrachtet hektisch das Staatsgold ins Fluchtflugzeug. Wenige Wochen danach stürzt das Regime in Ãgypten, fallen Bomben auf die Hauptstadt Libyens, und vom Atlantik bis zum Persischen Golf kämpfen die arabischen Tyrannen verzweifelt um den Erhalt ihrer Macht.
Niemand hat es geahnt, keiner hat es gewusst, sogar Scholl-Latour war nicht informiert. Ein Skandal. Der BND ist sprachlos, die Auslandskorrespondenten wieder mal ahnungslos. Sämtliche Arabienexperten, die wir haben, werden vor die Mikrofone gezerrt und stehen da wie die Deppen.
Was da passiert sei, sei schwieriger vorherzusehen gewesen als ein Tsunami, wird immer wieder beteuert, jawohl. Sind die Araber nicht eh bekannt dafür, dass sie machen, was sie wollen?
Als der Strom der Proteste in Arabien nicht mehr abreiÃt, macht man sich in Deutschland groÃe Sorgen.
Wird die Tourismusindustrie wegen der leerstehenden Resorts Pleite
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