Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
hätte auch mit dem iPod passieren können. Ive und Jobs hätten einen genialen MP3-Player ersinnen können, um dann zwei Jahre später eine nichtssagende Plastikbüchse auf den Markt zu bringen. Was hat den Funken am Leben erhalten?
Die Antwort ist: Apple entwickelt seine Produkte eher im Kaffeehaus als am Fließband. Normalerweise würde ein Produkt wie der iPod während der Entwicklung von Abteilung zu Abteilung weitergereicht. Die Designer entwerfen das Gehäuse und die Funktionen, die das Gerät haben soll. Dann sind die Ingenieure an der Reihe, die sich überlegen, wie sie es bauen können. Als Nächste kommen die Leute aus der Herstellung und beraten darüber, wie sie die Massenproduktion bewerkstelligen, und schließlich folgt die Marketingabteilung, die sich überlegen muss, wie sie potenzielle Kunden davon überzeugt, das Gerät zu kaufen. Diese Vorgehensweiseist so weit verbreitet, weil sie hervorragende Dienste leistet, solange es nur um Effektivität geht. Für Kreativität allerdings ist sie ein Desaster, weil der ursprüngliche Entwurf immer weiter verwässert wird. Die Ingenieure sagen: »Das wird sich zwar nicht zu hundert Prozent so umsetzen lassen, aber achtzig müssten drin sein.« Dann kommt die Herstellung und sagt mehr oder weniger dasselbe, und was am Ende dabei herauskommt, hat mit der ursprünglichen Idee nichts mehr zu tun.
Apples Herangehensweise ist weit chaotischer, aber sie verhindert, dass gute Ideen beim Gang durch die verschiedenen Abteilungen ausgehöhlt werden. Apple nennt das gleichzeitige oder auch parallele Produktion. Alle Abteilungen – Design, Technik, Herstellung und Marketing – treffen sich während des Entwicklungszyklus eines Produkts regelmäßig zum Brainstorming, es wird über Lösungen diskutiert, Ideen werden ausgetauscht, Strategien erarbeitet und jedes Problem aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Eine sehr aufwendige Methode, bei der zwangsläufig weit mehr Konfliktpunkte auftreten als bei der althergebrachten Methode. Zahllose Gespräche sind nötig, aber eben auch mehr Interaktion und Dialog zwischen Menschen aus verschiedenen Fachbereichen, mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Doch die Ergebnisse sprechen für sich.
Viele unserer großen Innovatoren haben es geschafft, ihr Arbeitsumfeld als interdisziplinäres Kaffeehaus einzurichten. Es ist hinlänglich bekannt, dass Darwin die Veröffentlichung seiner Evolutionstheorie immer wieder verschob aus Angst vor der Debatte, die das Buch unweigerlich auslösen würde – umso mehr nach dem Tod seiner Tochter Annie, der seine gläubige Frau Emma in eine tiefe Krise gestürzt hatte. Außerdem hatte Darwin zahlreiche andere Interessen, die ihn von seinem großen Werkablenkten: Er erforschte Korallenriffe, züchtete Tauben, führte eingehende anatomische Studien an Käfern und Rankenfüßern durch, schrieb wichtige Aufsätze über die Geologie Südamerikas und verbrachte Jahre damit, die Auswirkungen zu untersuchen, die Regenwürmer auf die Qualität des Bodens haben. Keine dieser Leidenschaften war allein ausschlaggebend für seine Selektionstheorie, aber sie versorgten Darwin mit nützlichen Verbindungen, Assoziationen und fundiertem Wissen zur Evolution. Dieselbe intellektuelle Vielschichtigkeit findet sich in zahllosen anderen Biografien. Joseph Priestley wechselte zwischen Chemie, Physik, Theologie und Politiktheorie hin und her. Bis in die letzten Jahre vor seiner politischen Karriere forschte Benjamin Franklin auf dem Gebiet der Elektrizität, beschäftigte sich mit dem Phänomen des Golfstroms, entwarf Öfen und verdiente sein Geld als Drucker. Während der englische Arzt John Snow das Rätsel um die Cholera im London der 1850er Jahre löste, entwickelte er gleichzeitig ein Gerät zur Narkose mit Ether, veröffentlichte seine Untersuchungen zur Giftigkeit von Blei und zur Reanimation von tot geborenen Kindern, und neben all dem kümmerte er sich auch noch um seine Patienten. Berühmtheiten wie Franklin, Snow und Darwin zeichnen ganz bestimmte intellektuelle Fähigkeiten wie schnelle Auffassungsgabe und unbändige Neugier aus, aber es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle hatten eine Menge Hobbys.
Der amerikanische Psychologe Howard Gruber nennt solche Parallel-Projekte ein »Netzwerk aus Unternehmungen«, aber ich beschreibe sie lieber mit dem viel geschmähten Wort »Multitasking«. Damit meine ich nicht das Multitasking am Bildschirm, bei dem man binnen
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