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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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Spitze des Vulkans im Meer, und der Krater bildet ein seichtes Meerwasserbecken. Dieser Prozess schreitet extrem langsam voran, und zwar langsamer als das Korallenriff in die Höhe wächst. Wie übereifrige Maurer fügen die Korallen ihrem Bauwerk auf der Vulkanspitze Stockwerk um Stockwerk hinzu, während der Vulkan selbst immer tiefer versinkt. Die älteren Korallen sterben ab und bleiben als Fundament für die nächste Generation erhalten. Das Einzige, was ihr Höhenwachstum begrenzt, ist der Wasserspiegel. Darwin hatte nicht die Möglichkeit, genaue Messungen anzustellen, doch sagte er voraus, die fossilen Korallen der Kokosinseln würden bis in eine Tiefe von etwa 1.500 Metern hinabreichen, erst darunter würde der eigentliche Vulkan beginnen. Über ein Jahrhundert später wurde seine Vorhersage durch Bohrungen bestätigt.
    Nachdem die
Beagle
die Kokosinseln verlassen hatte, schrieb Darwin die Erklärung für das Wunder in seinem Tagebuch nieder. »Wir müssen uns diese Lagunen als ein von Myriaden winziger Architekten errichtetes Denkmal vorstellen ... das einen Punkt markiert, unter dem eine ehemalige Landmasse in den Tiefen des Ozeans versunken liegt.«
    Darwin veröffentlichte seine Theorie zur Atollbildung ein paar Jahre später in einer Monografie. Sie war sein erster wichtigerBeitrag zur Wissenschaft und ist bis heute anerkannt. Die ursprüngliche Idee fußte wiederum auf einer Kaffeehausversammlung verschiedener Disziplinen: Darwin musste denken wie ein Naturforscher, Meeresbiologe und Geologe, und das alles zugleich. Er musste über den Lebenszyklus von Korallen Bescheid wissen; er musste die winzigen Spuren erkennen, die das organische Wachstum auf dem Mineralgestein der Kokosinseln hinterlassen hatte; er musste in den enormen Zeitspannen denken, die es braucht, damit ein Vulkan sich aus dem Meer erheben und wieder darin versinken kann. Und nicht zuletzt war er auf FitzRoys Hilfe angewiesen, der mit einem Bleilot umgehen und die Wassertiefe messen konnte. Um den Vorgang in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, musste Darwin, von einer Art tastender Intelligenz geleitet, die verschiedenen Disziplinen, Maßstäbe und Zeiträume miteinander in Verbindung setzen. In
Die Fahrt mit der Beagle
beschreibt Darwin den Vorgang und die daraus folgende Erkenntnis mit treffenden Worten: »Wenn Reisende uns von den riesenhaften Ausmaßen der Pyramiden und anderer großer Ruinen berichten, sind wir von Staunen erfüllt, doch wie unscheinbar sind selbst die größten unter ihnen, wenn wir sie mit diesen steinernen Bergen vergleichen, die von so kleinen und zarten Tieren errichtet wurden. Das Wunder [der Atolle] springt dem Betrachter nicht sofort ins Auge, erst in der Rückschau wird es vor dem geistigen Auge umso gewaltiger.«
    Die »so kleinen und zarten Tiere« hatten eine Plattform errichtet, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dass Darwin mitten im Indischen Ozean bequem auf einem tellerförmigen Plateau stehen konnte, statt mühsam Wasser treten zu müssen, hatte er den Korallen zu verdanken, die es errichtet hatten. Aber ein Korallenriff fungiert auch im übertragenen Sinn als Plattform: Seine Hügel, Platten und Spalten schaffen einen Lebensraum für Millionen anderer Spezies, eine unterseeische Metropole von unvorstellbarerVielfalt. Bis zum heutigen Tag sind alle Versuche gescheitert, die in einem Korallenriff lebenden Spezies exakt zu beziffern. Ihr Ökosystem ist einfach zu komplex. Wissenschaftler schätzen, dass in den Korallenriffen rund um den Globus etwa ein bis zehn Millionen verschiedene Spezies leben, und das obwohl Riffe nur ein Promille der Planetenoberfläche einnehmen. Womit wir wieder bei Darwins Paradoxon sind, wie so nährstoffarme Gewässer so überwältigend vielfältiges Leben hervorbringen können.
    Vierzig Jahre lang wurden Organismen, die einen überproportional großen Einfluss auf das Ökosystem haben, in dem sie leben, als Schlüsselarten bezeichnet – ein Fleischfresser etwa, der als einziger Fressfeind die unkontrollierte Vermehrung einer anderen Spezies verhindert. Fällt der Fressfeind weg, bricht das ökologische Gleichgewicht zusammen. Vor zwanzig Jahren jedoch schlug der Ökologe Clive Jones vom Cary Institute of Ecosystem Studies vor, das Vokabular der Biologie um einen Begriff für eine weitere Schlüsselart zu ergänzen, und zwar für Spezies, die ein Habitat überhaupt erst erschaffen. Jones nannte sie »ecosystem engineers«, also Ökosystem-Ingenieure. Biber sind ein

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