Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
wissenschaftlichen Community, die sich Anfang der 1950er Jahre mit der DNA-Struktur beschäftigte, den klarsten Blick auf das Molekül selbst hatten. Das war die Biochemikerin Rosalind Franklin, die versuchte, dem Geheimnis der DNA-Stränge mit modernster Röntgenstrukturanalyse auf die Schliche zu kommen. Doch auch Franklins Blick unterlag zwei Beschränkungen: erstens den Einschränkungen der Technologie selbst, die nur vage Hinweise auf die Helixstruktur und die symmetrischen Basenpaare lieferte, und zweitens denen der Inselnatur ihrer Arbeitsweise. Franklin ging streng induktiv vor: Zuerst die Analyse, dann die Auswertung und schließlich die Entwicklung des DNA-Modells. »Die Daten werden uns die Struktur verraten«, wie Franklin zu Crick sagte.
Um das Rätsel zu lösen, war jedoch mehr nötig, als Röntgenstrukturanalysen auszuwerten. Watson und Crick mussten zusätzlich zu Franklins Arbeit Erkenntnisse aus den verschiedensten Disziplinen heranziehen, aus Biochemie, Genetik, Informationstheorie und Mathematik. Auch Cricks Assoziation zur Vervielfältigung von Skulpturen spielte eine nicht unwichtige Rolle. Dabei sahen Watson und Crick neben Franklin eher wie Hobby-Wissenschaftler aus. Crick hatte erst nach abgeschlossenem Physikstudium begonnen, sich mit Biologie zu beschäftigen, und keiner der beiden war Experte auf dem Gebiet der Biochemie. Doch das Rätsel um die Struktur der DNA ließ sich ohnehin nicht mit den Mitteln einer einzelnen Disziplin lösen, oder wie Ogle es ausdrückte: »Sobaldbestimmte Schlüsselideen aus Ideenräumen, die ansonsten wenig miteinander zu tun hatten, in Verbindung gebracht worden waren, begannen diese sich wie von selbst gegenseitig zu ergänzen und fügten sich zu einem Ganzen zusammen, das mehr war als die Summe der Bestandteile.« An dieser Stelle passt nur zu gut, dass Watson und Crick bekannt dafür waren, lange Kaffeepausen außerhalb des Labors zu machen, während derer sie sich in einer ungezwungeneren Umgebung mit dem Problem und ihren Ideen dazu beschäftigten. Eher traditionell eingestellte Kollegen hielten nicht viel von dieser Angewohnheit. Dennoch: In gewisser Weise haben Watson und Crick sich mithilfe ihrer schwachen Bindungen, kombiniert mit einem Händchen für Exaptation, den Nobelpreis beim Kaffeetrinken erarbeitet.
Mit dem Kaffeehaus-Modell lässt sich auch eines der großen Paradoxa im Bereich der innovativen Unternehmen des 21. Jahrhunderts erklären. Ein großer Teil der Hightech-Konzerne nutzt und fördert für die firmeneigene Innovationskultur mittlerweile dezentrale flüssige Netzwerke. Doch ausgerechnet der Hersteller, der als der innovativste weltweit gilt, verfolgt eine exakt entgegengerichtete Strategie: Apple. Was die Entwicklung neuer Produkte betrifft, gibt sich die Firma derart geheimnistuerisch, dass es schon fast komisch wirkt. Das neue iPhone als »Open-Source-Projekt« wäre unvorstellbar. Wenn es aber gerade die offenen, engmaschigen Netzwerke sind, die Innovation fördern, wie lässt sich dann das Phänomen Apple erklären? Die simple Antwort lautet: Steve Jobs und Jonathan Ive bilden ein herausragendes Team, wenn es darum geht, sich revolutionäre Produkte einfallen zu lassen. Beide sind geradezu genial begabt in dem, was sie tun. Dennoch könnten sie etwas so Kompliziertes wie ein iPhone niemals allein entwerfen, bauen, programmieren und vermarkten, wie das noch bei Jobs‘ undWozniaks erstem Computer der Fall war, den sie in ihrer berühmten Garage bauten. Es muss also noch etwas anderes geben, das Apple in die Lage versetzt, seine Ideen zur Marktreife zu bringen.
Wiederum ist die Antwort erstaunlich einfach: Während Apple sich nach außen hin undurchdringlich gibt wie eine Festung, ist der interne Produkt-Entwicklungsprozess eigens darauf ausgerichtet, Auseinandersetzung und Austausch zwischen den verschiedenen Abteilungen zu fördern. Jobs selbst beschrieb die Apple-Methode mit einem Vergleich aus der Automobilindustrie. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einem Autosalon und sehen dort eine futuristische Automobilstudie, einen Prototyp, der so umwerfend aussieht, dass Sie unwillkürlich denken: Den will ich haben. Als der Wagen fünf Jahre später schließlich auf den Markt kommt, ist der einstige Ferrari zu einem Pinto verwässert – alles, was neu und bahnbrechend war, wurde abgeschwächt oder ganz weggelassen. Was jetzt noch von der Studie übrig ist, unterscheidet sich kaum von den Modellen aus dem letzten Jahr. Dasselbe
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