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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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weniger Sekunden zwischen E-Mail-Programm, Tabellenkalkulationen und Twitter hin und her springt. Ich spreche von einem weit angenehmeren Zustand als dem hektischen Leben im digitalen Zeitalter, nämlich davon, dass die einzelnenTasks Tage oder Wochen in uns nachklingen, bevor wir uns dem nächsten Projekt widmen. Dabei findet eine ständige Veränderung in uns statt. Jedes von John Snows Einzelprojekten erforderte eine andere Art von gedanklicher Leistung: Um ein Gerät zu bauen, das die Temperatur von Chloroform regelt, brauchte es andere Fähigkeiten und eine andere Denkart als bei der Behandlung von Patienten oder wenn er einen Artikel für den Lancet schrieb. Man könnte diesen Wechsel natürlich »Serientasking« nennen, weil ja ein Projekt auf das andere folgt, aber das würde einen ganz zentralen Aspekt verschleiern: In einem langsamen Multitaskingmodus rückt immer ein Projekt für mehrere Stunden oder Tage ins Zentrum, während die anderen die ganze Zeit über am Rand des Bewusstseins nach wie vor vorhanden sind. Es ist diese kognitive Überlappung, die diesen Modus so innovationsfördernd macht. Das momentane Projekt kann Gedanken von den anderen exaptieren und neue Verbindungen knüpfen. Das hat weniger mit über den eigenen Tellerrand hinausschauen zu tun als damit, mehrere Teller vor sich zu haben. Wenn der Geist ständig von Teller zu Teller wandern muss, betrachtet er Probleme aus immer neuen Blickwinkeln und kann Lösungsansätze aus der einen Disziplin auf eine andere übertragen.
    Es heißt, Snow hätte den Übertragungsweg der Cholera durch akribische Detektivarbeit während der Epidemie von 1854 im Londoner Stadtteil Soho entdeckt, doch in Wahrheit hatte er schon lange vorher ein entsprechendes Modell entwickelt. Die gängige Theorie war, Cholera würde durch sogenannte Miasmen – durch giftige Dünste – übertragen, und nicht durch verseuchtes Wasser. Doch im Gegensatz zu seinen Kollegen kannte Snow sich mit Gasen und deren Ausbreitungsverhalten bestens aus. Er wusste, wären die Miasmen die Übeltäter, würde sich das in der geografischen Verteilung der Todesfälle äußern: In direkter Umgebung der Quelleder Miasmen wäre die Sterblichkeit enorm hoch und würde mit zunehmender Entfernung rapide abnehmen. Snows Praxiserfahrung tat ein Übriges. Bei der Behandlung der Cholera-Opfer fiel ihm auf, dass die Auswirkungen der Krankheit auf einen Erreger hindeuteten, der über den Verdauungstrakt in den Organismus gelangt war, und nicht über die Atmung. Denn es waren stets die Verdauungsorgane, die in direkte Mitleidenschaft gezogen wurden, die Lunge blieb größtenteils unversehrt. Um den Übertragungsweg der Cholera zu verstehen, musste Snow denken können wie ein Chemiker und wie ein Arzt. Als langsamer Multitasker hatte er das Wissen beider Fachgebiete im Hinterkopf, als er sich daran machte, das Rätsel um die Cholera zu lösen. Es ist wie bei den Federn des Archäopteryx: Als Snow sein Chloroform-Narkosegerät entwickelte, konnte er noch nicht ahnen, dass ihm die dabei gewonnenen Erkenntnisse eines Tages helfen würden, ein tödliches Bakterium zu besiegen. Genau das macht die unberechenbare Kraft der Exaptation aus. Der Zufall begünstigt den vernetzten Geist.

VII.
PLATTFORMEN

Nachdem er zwei idyllische Wochen auf den Kokosinseln verbracht hatte, stach Darwin am 12. April 1836 mit der
HMS Beagle
wieder in See. Während seines Aufenthalts dort hatte er die Beweise gesammelt, die er für die erste große Idee seiner jungen Karriere brauchte. Während das Schiff durch die beschaulichen grünen Wellen fuhr, um sich über Mauritius auf den Rückweg nach England zu machen, lotete Kapitän FitzRoy mit einem Senkblei an einer über 3.000 Meter langen Leine die Tiefe der Gewässer um das Atoll aus. Die Leine reichte nicht bis zum Grund, womit FitzRoys Messungen Darwins Vermutung bestätigten, die Insel sei die Spitze »eines unterseeischen Berges, dessen Flanken steiler sind als selbst der steilste Vulkankegel.« Diese Erkenntnis war für Darwin von größter Wichtigkeit, denn er war gerade dabei, eine Theorie über unterseeische Berge und ihre Entstehung zu entwickeln.
    Die Theorie hatte vor Jahren als bloße Ahnung ihren Anfang genommen. Darwin vermutete, dass die Theorie, die sein Mentor Charles Lyell zur Atollbildung entwickelt hatte, nicht ganz stimmen konnte. Darwins Verdacht gründete sich auf die eher geringe Wahrscheinlichkeit, mit der ein unterseeischer Berg sich bis über den

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