Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
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In den späten 90ern beschloss der Soziologe Martin Ruef von der Stanford Business School, den Zusammenhang zwischen Innovationskraft von Unternehmen und Diversität zu untersuchen. Ruef ging es dabei weniger um die politisch-soziologischen Aspekte,sondern um die Rolle, die der kaffeehausartige Austausch zwischen verschiedenen Berufsgruppen und Disziplinen in diesem Zusammenhang spielt. Ruef interviewte 766 Absolventen der Stanford Business School, die nach ihrem Abschluss unternehmerisch tätig geworden waren. Um die Innovationsrate zu messen, untersuchte er Zahlen wie die Einführung neuer Produkte, eingetragene Markenrechte und Patente. Auch die sozialen Netzwerke der Absolventen waren Teil seiner Untersuchung. Dabei interessierte Ruef nicht nur die Zahl der Kontakte, sondern auch deren Art. Manche der Befragten verfügten über ein großes soziales Netzwerk innerhalb der eigenen Firma oder Organisation, bei anderen beschränkte sich das Netzwerk auf Familie und Freunde, und wieder andere hatten weitverzweigte Verbindungen über den Kreis der engsten Freunde und Kollegen hinaus.
Was Ruef entdeckte, war ein eindrucksvoller Beleg für das Kaffeehaus-Modell: Die kreativsten unter den Befragten hatten stets ein breit gefächertes soziales Netzwerk, das weit über die eigene Organisation hinausreichte und zu dem Menschen aus den verschiedensten Fachgebieten gehörten. In Ruefs Studie erwiesen sich reichhaltige horizontale soziale Netzwerke als
dreimal
so innovativ wie homogene, vertikale Netzwerke. In Gruppen, die sich schon lange kannten und in denen ein einheitliches Wertesystem herrschte, unterdrückten Konformität und Konvention jeden kreativen Funken. Aufgrund des eingeschränkten Netzwerks kamen die Leute selten mit neuen Konzepten in Kontakt. Jene aber, die von ihren »Inseln«, wie Ruef es nannte, Brücken bauten, konnten Anregungen und Ideen aus der Außenwelt aufnehmen und sie in einem anderen Kontext verwenden. In einer ähnlichen Studie untersuchte Professor Ronald Burt von der University of Chicago Booth School of Business den Ursprung guter Ideen im Unternehmensnetzwerk der Raytheon Company. Wie Burt herausfand,waren die innovativsten Mitarbeiter diejenigen, die die Gräben zwischen den einzelnen Abteilungen überbrückten. Von Angestellten, die Informationen ausschließlich innerhalb der eigenen Abteilung austauschten, kamen weit seltener nützliche Vorschläge als von jenen, die in regem Kontakt mit einer weniger homogenen Gruppe standen.
Ruefs und Burts Ergebnisse bestätigen somit die »Kraft der schwachen Bindungen«, die Mark Granovetter als Erster propagierte und die Malcolm Gladwell in
The Tipping Point
populär gemacht hat. Betrachten wir schwache Bindungen in breiten sozialen Netzwerken aber unter dem Blickwinkel der Exaptation, kommt noch ein wichtiger Punkt hinzu. Sie verbessern nicht nur den Informationsfluss
innerhalb
eines Netzwerks, weil Information nicht in inselartig abgeschlossenen, eng vernetzten Gruppen versandet. Geht es um Innovation, ist es ganz entscheidend, dass auch Information aus vollkommen anderen Kontexten und Systemen zur Verfügung steht. Der Innovationsforscher Richard Ogle nennt solche abgeschlossenen Systeme von Techniken, Herangehensweisen und Studienobjekten »Ideenräume«. Innovation wird umso leichter, wenn eine neue Technologie, die in einem bestimmten Ideenraum entwickelt wurde, in einen anderen migrieren kann, wo sie vielleicht unerwartete nützliche Eigenschaften an den Tag legt oder einem anderen Projekt zum Durchbruch verhilft. Der unschätzbare Wert der schwachen Bindungen liegt somit nicht nur in der Geschwindigkeit, mit der sie Information verbreiten, sondern auch darin, dass sie die Exaptation dieser Information fördern. Gutenberg war Goldschmied und verfügte über schwache Bindungen zu den rheinischen Winzern. Ohne sie wäre vielleicht nicht mehr aus ihm geworden als ein findiger Schriftsetzer, der mit beweglichen Metalllettern arbeitet. Da Gutenberg aber nicht zurückgezogen auf seiner Goldschmiedinsel lebte, konnte er weitmehr als das erreichen und den modernen Buchdruck erfinden.
Das Modell der Exaptation über schwache Bindungen hilft uns auch, die wissenschaftliche Erleuchtungsgeschichte des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen, nämlich wie Watson und Crick die Doppelhelixstruktur der DNA entdeckten. Wie Ogle und andere bereits feststellten, waren James Watson und Francis Crick mitnichten diejenigen, die in der kleinen
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