Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
loszuwerden. Ganze Märkte entstanden um Technologien, mit deren Hilfe CO 2 unterirdisch in ausgebeuteten Öl- oder Gasvorkommen gebunkert werden sollte. Aber Constantz’ Verfahren bot eine weit schlauere Lösung: Statt das CO 2 zu verbuddeln, würde es als Baustoff verwendet.
Calera steckt immer noch in den Kinderschuhen, und die Frage, ob die Gebäude der Zukunft tatsächlich unter Wasser auf künstlichen Korallenriffen entstehen, die mit Fabrikabgasen gefüttert werden, bleibt vorerst offen. Die Idee mag gewagt erscheinen, aber auch nicht gewagter als das Great Barrier Reef vor einer Million Jahren erschienen wäre. Die Natur errichtet ihre Plattformen seit Urzeiten aus recycelten Ressourcen, auch und vor allem aus dem Abfall von Organismen, und die zwei Dinge, die wir im Moment im Überfluss haben, sind Umweltverschmutzung und Meerwasser. Warum sollten wir nicht versuchen, Städte daraus zu bauen?
Auch das Web ist auf Recycling angewiesen. Im Zusammenhang mit dem vielfältigen Angebot von Dienstleistungen und Seiten im Web 2.0 wird oft von einem »Ökosystem« gesprochen. Die Metapher funktioniert und hat durchaus ihre Berechtigung. Ohne Probleme können wir uns den Informationsfluss im Web als Entsprechung zum Energiefluss in einem Ökosystem vorstellen, aber wie viele andere griffige Metaphern ist auch dieser Vergleich zuallgemein. Die ungeheure Bandbreite macht es umso schwieriger, das Wichtigste an der Evolution zu erkennen, die das Web in den letzten 15 Jahren durchgemacht hat, denn das Web ist nicht nur irgendein Ökosystem, sondern ein ganz bestimmtes: Es begann als Wüste, die sich seither immer mehr zu einem Korallenriff wandelt.
Ein Teil der Schönheit und der Kraft von Tim Berners-Lees Webarchitektur liegt in ihrer Einfachheit begründet. Webseiten sind nichts anderes als Hypertextdokumente, die sich über eine simple Verknüpfung mit anderen Webinhalten verbinden lassen: den Link. Stellen wir uns vor, es wäre wieder 1995, und Sie wollen auf Ihrer Homepage eine Kurzkritik eines neuen Restaurants in der Boston Back Bay veröffentlichen. Damit stellen Sie dem Ökosystem Web neue Information zur Verfügung. Wie die Zooxanthellen, die Sonnenenergie auffangen, nehmen Sie Informationen, die ursprünglich in einer anderen Umgebung entstanden (dem neuronalen Netzwerk Ihres Gehirns) und fügen sie dem Informationsschatz des Web hinzu.
Die Frage ist, was damals mit der Information geschah, sobald sie im Netz landete. Um Ihre Homepage noch informativer zu machen, hätten Sie Ihre Kritik vielleicht mit der des Restaurants verlinkt – falls es eine hatte. Damit hätten Sie den Inhalt der Restaurantseite für Ihre eigenen Zwecke recycelt. Andere User, die zufällig über Ihre Kritik stolpern, verlinken sie vielleicht mit ihrer eigenen Homepage oder leiten den URL in einer E-Mail an Freunde weiter. Das war damals aber auch schon das Ende der Möglichkeiten. Ansonsten wäre die von Ihnen dem System hinzugefügte Information verwaist geblieben wie eine Blume, die in der Wüste auf den nächsten Regentropfen wartet.
Spulen wir nun vor in die Gegenwart. Sie sitzen in demselben Restaurant und haben gerade eine köstliche Vichyssoise gegessen. Alsoholen Sie ihr Mobiltelefon hervor, schildern in 140 Zeichen, wie hervorragend die Suppe geschmeckt hat, und hängen noch einen Link zur Webpräsenz des Restaurants dran. Das Ganze steht schon auf Twitter, bevor der Kellner überhaupt die Rechnung gebracht hat. Genauso wie 15 Jahre zuvor haben Sie mit Ihrem Tweet dem Ökosystem des Web neue Informationen hinzugefügt. Aber was passiert diesmal mit der Information, nachdem Sie auf »Senden« gedrückt haben?
Zum einen zirkuliert sie auf eine Weise durch das gesamte System, wie wir es uns 1995 noch nicht einmal hätten vorstellen können. Innerhalb weniger Sekunden geht sie an all Ihre Twitter-Follower, bei manchen direkt aufs Handy. Dank der in der Twitter-Community üblichen ReTweets wird Ihr Vichyssoise-Tweet im Handumdrehen an andere Feinschmecker auf Twitter weitergeleitet. Und das ist erst der Anfang. Mithilfe der an den Tweet angehängten geografischen Daten leitet das standortbezogene soziale Netzwerk Foursquare den Vichyssoise-Post automatisch an alle User weiter, die vor Kurzem Bars, Restaurants oder Plätze (oder auch Kaffeehäuser) in der Nähe besucht haben. Der Tweet erscheint sofort in Form einer Stecknadel auf den zahllosen Twitter-Maps, die in den letzten Jahren entstanden. Die hyperlokale
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