Wo immer Du bist, Darling
Mund, dann fesselte er ihr linkes Fußgelenk mit derart wenig Abstand an das Holzgestell, dass ihr nur noch ein lachhaft kleiner Bewegungsradius blieb. Er verließ den Raum und warf die Tür hinter sich zu.
Anja fand sich erneut in völliger Dunkelheit wieder. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Ihr Puls rangierte inzwischen auf einem Level, als drohte ihr akute Gefahr. Sie begann zu hyperventilieren. Kaum noch zu einer Handlung fähig, kippte sie zur Seite und kauerte sich wie ein verstörtes Kind zusammen. Schwindel, Panik, tiefschwarze Enge umgaben sie wie ein Leichentuch. Die Angst, unter dem Klebeband zu ersticken, verdrängte jeden rationalen Gedanken. Bald blieb nichts mehr übrig außer diesem grauenhaft toten Vakuum.
Auf den Boden gepresst rang sie nach Luft. Weiße Punkte tanzten vor ihren Augen und sie fühlte sich, als wäre kein Quäntchen Sauerstoff mehr im Raum. Staub drang in ihre Nase und reizte ihre Lungen. Hustend fuhr sie auf, knallte dabei mit der Schulter gegen die Kante der Pritsche. Der Schmerz war furchtbar, doch er ermöglichte es ihr endlich, den Nebel der Panikattacke zu durchbrechen. Ihre Sinne meldeten sich nach und nach zurück und sie nahm die Umgebung wieder wahr. Trotzdem schienen Jahre zu vergehen, bis es ihrem Gehirn gelang, zusammenhängende Worte zu bilden.
Alles ist gut. Bleib ruhig. Du kannst atmen. Der Raum bietet genug Platz. Ganz ruhig. Du kannst atmen.
Sich vor und zurück wiegend, betete Anja die Sätze immer wieder herunter. Sie wusste nicht, wie lange sie so ausharrte, sie wusste nur, dass sie stetig weiteratmen musste. Einen Atemzug nach dem anderen zu nehmen, nur darauf kam es an. Zeit hatte in dieser undurchdringlichen Schwärze keine Bedeutung. Irgendwann beruhigte sich ihr rasender Herzschlag. Die Hysterie ebbte ab und nahm die Starre mit sich.
Zitternd lehnte sie den Kopf gegen das Holz der Pritsche. In einem Versuch, ihre verkrampfte Haltung zu lockern, streckte sie die Beine. Der Strick um ihren Knöchel stoppte ihre Bewegung, noch ehe sie die Knie ganz durchdrücken konnte. Anja tastete über den Knoten am Fußgelenk. Bombenfest. Genau wie der an den Händen. Sie lehnte sich zurück. Was sollte sie jetzt tun? An die Tür kam sie jedenfalls nicht mehr.
Ihre Situation konnte hoffnungsloser nicht sein. Sie befand sich in einem dunklen Raum mitten in der Wildnis. Ohne Aussicht auf Hilfe oder Rettung, völlig auf sich allein gestellt. Bewacht von einer Gruppe Männer , die weiß Gott was mit ihr vorhatten.
So hatte sie sich ihren Urlaub nicht vorgestellt.
Resigniert starrte sie ins Nichts.
Stundenlang saß sie da, ohne sich zu bewegen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Jedenfalls nichts, was die Situation in irgendeiner Weise verbessert hätte. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Mitten in der Nacht – oder war es schon Morgen? – schreckte sie zitternd vor Kälte auf. Mit steifen Gliedern kraxelte sie auf die Holzpritsche und breitete eine der muffig riechenden Decken über sich.
Sie wurde erst wieder wach, als jemand sanft an ihrer Schulter rüttelte. Orientierungslos blinzelte sie einige Male, dann setzte die Erinnerung ein: der Überfall, die Entführung. Ihre bescheidene Lage.
Anja riss die Augen auf.
Ramon stand über ihr, eine Metallschüssel und einen Becher in den Händen.
Er wartete, bis sie sich aufgerichtet hatte, entfernte dann das Klebeband von ihrem Mund und streckte ihr den Becher entgegen. »Hier, du musst was essen und trinken.« Er reichte ihr die Schüssel. Neben einem Stück Brot befand sich eine undefinierbare braune Masse darin.
»Was ist das?«
Ramons Miene verfinsterte sich, als er ihren angeekelten Gesichtsausdruck bemerkte. »Wonach sieht’s denn aus?«
»Das willst du gar nicht wissen.«
»Da hast du verdammt recht. Los, nimm! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Die sture Arroganz, mit der er ihr Schüssel und Becher vor die Nase hielt, rief Anjas Wut auf den Plan. Was erwartete er denn? Dass sie den widerlichen Fraß auch noch dankbar annahm?
Einen Moment lang spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, ihm die Schüssel aus der Hand zu schlagen.
»Denk nicht mal dran«, stoppte seine kalte Stimme sie, noch ehe sie die Idee zu Ende geplant hatte. Sie riss den Kopf hoch. Wie Messerklingen kreuzten sich ihre Blicke. Hätte der Ausdruck darin töten können, wären sie vermutlich beide auf der Stelle umgefallen.
Ramon stellte das Frühstück neben der Pritsche auf den Boden und verschwand.
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