Wo ist Thursday Next?
Fieberwahn sein. Ob es seine Wahnvorstellungen sind oder meine, wissen wir aber nicht. Es könnte sogar sein, dass es eine Art Owlcreek-Leben ist, was ich führe.«
Bradshaw wusste, was ich damit meinte. Ein »Owlcreek« ist eine Erfindung von Ambrose Bierce. Sie erlaubt es einer Figur, in den letzten Sekunden ihres Lebens alles zu erleben, was hätte sein können, wenn sie nicht sterben müsste. Möglicherweise saß ich in Wirklichkeit gerade im Taxi des Mittleren Gatsby, das sich imunkontrollierten Sturzflug befand, während sich der Herring-Putsch noch in nebliger Zukunft befand.
»Vielleicht ist Carmine ja die Thursday, von der ich denke, dass ich sie sein könnte«, sagte ich. »Es könnte sogar sein, dass ich unter den halluzinatorischen Nachwirkungen einer kürzlichen Überarbeitung leide. Und wenn wir schon dabei sind, alles in Frage zu stellen: Auch die BuchWelt könnte womöglich gar nicht real sein. Vielleicht bin ich ja nur ein Teppichhändler von Acme mit einer blühenden Fantasie.«
Ich schauderte bei dem Gedanken, dass alles, was ich erlebt hatte, womöglich gar nicht passiert war.
»Wir befinden uns nun mal in der Fiktion, Mädchen«, sagte Bradshaw gelassen. »Die Wahrheit ist so, wie man sie haben will. Sie können die Situation interpretieren, wie Sie wollen, und jede dieser Interpretationen könnte real sein – und was noch besser ist: Jedes Szenario könnte Wirklichkeit werden, je nachdem, wie man sich jetzt verhält.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich könnte Thursday werden, wenn ich mir bloß fest genug einbilde, dass ich Thursday bin?«
»Mehr oder weniger. Es könnte sein, dass Sie sich einer kurzen erzählerischen Prozedur unterziehen müssen, die im Fachjargon ›Bobby Ewing‹ heißt. Das bedeutet nur, dass Sie im nächsten Kapitel aufwachen und es ist alles ein Traum gewesen. Das tut aber nicht weiter weh, wenn es Sie nicht gerade stört, dass einige potenzielle Leser voller Abscheu die Hände heben.«
»Ich könnte Thursday sein?«, fragte ich noch einmal.
Er nickte. »Sie müssen nur
wissen,
dass Sie es sind. Leugnen Sie bitte nicht, dass Sie in den letzten Tagen einige Zweifel gehabt haben.«
Es war sehr verlockend. Ich konnte Thursday sein und Dinge tun, die sie getan hätte. Ich würde mich nie wieder mit sinkenden Leseraten oder mit Bowdens und Pickwicks Aufsässigkeiten herumschlagen. Ich könnte Landen und die Kinder als meine betrachten. Ich sah mich im Jurisfiktion-Büro um. Die Herzkönigin war so verrückt wie immer, Mr Fainset versuchte herauszufinden,warum Tracy Capulet ihre Schwester im Schrank eingesperrt hatte, Lady Cavendish verfasste eine Anklage gegen Red Herring, weil er einen roten Hering verkörpert hatte, obwohl er gar keiner war, und Emperor Zhark versuchte ein vorläufiges Friedensabkommen für die nördlichen Gattungen zu entwerfen. Es sah alles sehr angenehm, nützlich und befriedigend aus, und man verschwendete wenigstens nicht seine Zeit.
Commander Bradshaw lächelte und schob mir Thursdays Stern zurück über den Tisch. »Na, was sagen Sie?«
»Ich kann Thursday sein«, sagte ich langsam. »Ich kann bei Jurisfiktion arbeiten. Aber nur bei einer
fiktionalen
Jurisfiktion. Ich will die echte Thursday bei allem darstellen, was sie tatsächlich getan hat. Ich will, dass die Thursday-Serie die BuchWelt und Sie und Miss Havisham und Zhark und alle anderen beschreibt. Auf diese Art kann ich Thursday sein.
Fiktional.
Aber sonst kann ich Ihnen nicht helfen, so gern ich es möchte.«
Bradshaw sah mich lange an.
»Ich respektiere Ihre Entscheidung, bei Ihren Büchern bleiben zu wollen«, sagte er schließlich, »und ich verstehe, dass Sie alles so sagen wollen, wie es nun einmal ist. Wir sind Ihnen natürlich alle sehr dankbar, aber selbst wenn Jobsworth und ich eine TextVeränderungsLizenz unterschreiben, um Ihre Serie anzupassen, muss ich Sie doch darauf hinweisen, dass Sie nicht wirklich Thursday sein können, wenn Sie nicht mit Landen zusammen sind. Und selbst wenn Sie seine Einwilligung hätten, müssten Sie auch noch
Thursdays
Zustimmung haben, ehe Sie auch nur daran
denken
können, die Bücher zu ändern. Und soviel wir wissen, könnte sie ja schon … tot sein.«
Er zögerte lange, ehe er die letzten zwei Worte aussprach, und quälte sich, ehe er sie über die Lippen brachte.
»Sie ist nicht tot«, sagte ich.
»Das hoffe ich natürlich auch. Aber ohne irgendwelche Hinweise – und die haben wir nicht – wird es sehr schwierig sein,
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