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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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kein Lächeln, nichts, auch nicht der kleinste Versuch, mal zwei Wörter auf Portugiesisch zu sagen! Die arme Socorró war völlig entsetzt. Ich musste ihr erst übersetzen, was die wollten, ›Zwei Zimmer, und dann Bier‹, genau so … sie hat mehrmals hoch- und runtergehen müssen mit den Koffern, und keiner von denen hat auch nur die kleinste Bewegung gemacht. Und dann haben sie sich volllaufen lassen, Vater, Mutter und Tochter, alle zusammen. Du siehst das Bild vor dir, denke ich. Als ich aufbrach, hatten sie schon jeder drei Dosen intus. Dass sie Idioten sind, hässlich, unhöflich und an der Flasche hängen, das kann man ja noch hinnehmen, aber Socorró hat mir erzählt, wie es weiterging … Den lieben langen Vormittag haben sie nichts getan, als abwechselnd zu saufen und zu pissen; nach dem Mittagessen sind die beiden Frauen hochgegangen, sich hinlegen, aber der Typ hat darauf bestanden, dass sie ihm eine Matratze nach unten bringt, auf die Veranda, und jetzt halt dich gut fest, dann hat er Socorró befohlen, ihm während seiner Siesta Luft zuzufächeln!«
    Eléazard riss die Augen auf: »Das hat sie ja wohl nicht getan?«
    »Natürlich hat sie sich geweigert, jedenfalls anfangs … aber dann hat er ihr erst zehn Dollar dafür geboten, dann zwanzig, und da sie einen Enkel in São Luís im Internat hat und die Kosten selbst aufbringen muss …«
    »Das darf ja nicht wahr sein! Und was hat Angelo so lange getrieben? So was kann man sich doch nicht bieten lassen!«
    »Er war den Tag über mit seiner Frau in São Luís. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sauer er war, als er davon erfuhr. Am liebsten hätte er sie mit Tritten in den Hintern aus dem Haus gejagt, aber Socorró hat ihn bekniet, er soll keinen Skandal machen und sie diesen Monat ein bisschen was verdienen lassen. Obendrein ist der Kerl bewaffnet, er hat eine Pistole im Hosenbund. Das hat Socorró gesehen, als er sich das Hemd aufknöpfte … Da hat sich Alfredo etwas abgekühlt. Vor allem, weil sie wirklich gut zahlen, diese Mistkerle!«
    »Das ist nicht hinnehmbar«, sagte Eléazard kalt. »Ich muss mit Socorró reden, ich zahle ihr die Fächerstunden, wenn es nicht anders geht, aber so was darf man sich nicht bieten lassen.«
    »Wenn du sie sehen könntest … heute Abend kann sie die Arme kaum bewegen.«
    »Morgen rede ich mit ihr. Jetzt müssen wir uns ranhalten, sonst verpassen wir das Schiff nach São Luís.«
     
    Im Fond des Wagens sitzend – einem alten Ford Cabriolet, der seit Jahren nicht mehr im Einsatz gewesen zu sein schien, aber aussah, als käme er direkt aus der Fabrik –, genoss Loredana den hereinbrechenden Abend. Eléazard fuhr geschmeidig, der Wagen glitt fast von selbst auf das Rot des Sonnenuntergangs zu, als wollte er in einer kitschig bunten Apotheose mit ihm verschmelzen. Mit windzerzaustem Haar drehte Doktor Euclides sich immer wieder zu ihr um, plauderte über dies und das und machte Bemerkungen über die Landschaft, die er, so entschuldigte er sich, ja nicht mehr sah. Diese Hinwendung zu ihr mochte ihm von einer überkommenen Höflichkeit diktiert werden, dennoch besaß sie den Charme und die Natürlichkeit einer vieljährigen Übung.
    »Sie werden sehen«, sagte er, als sie sich der Fazenda näherten, »Gräfin Carlota ist eine sehr feinsinnige, kultivierte Person … ganz das Gegenteil ihres ungehobelten Mannes. Ich frage mich bis heute, was sie an ihm anziehend gefunden haben mag. Gott weiß, welche Chemie bei derlei Wahlverwandtschaften herrscht, vor allem in einem Fall wie diesem! Apropos, haben Sie einmal Goethes Büchlein gelesen,
Die Wahlverwandtschaften
? Nein? Es lohnt sich, glauben Sie mir …«
    Doktor Euclides da Cunha nahm seine Brille ab und putzte sie gedankenverloren, wobei er sich noch weiter zu Loredana drehte:
    »
Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen
«, zitierte er sanft, »
und die Gesinnungen ändern sich gewiss in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind
. Sie werden mir zustimmen, wir hier haben recht viele Männer, die die Schwerfälligkeit des Dickhäuters mit der Wildheit des Raubtiers vereinen …«
    »Sie schmücken aus, Doktor, wie immer«, unterbrach ihn Eléazard. Dann, nach kurzem Schweigen, weil er sich aufs Fahren konzentrieren musste, fuhr er fort: »Ich würde sogar sagen: Sie entstellen! Wenn ich mich recht entsinne, schreibt die arme Ottilie das einzig, um die Männer dazu zu bringen, dass sie sich für die Welt rings um sich interessieren. In ihrem

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