Wo Tiger zu Hause sind
unschuldig waren wie er.
Unterdessen folgten die achtzig Jesuitenschüler – fünf Priester beschlossen zu bleiben – dem Befehl ihres Oberen und flohen in kleinen Gruppen aus dem Collegium, als gewöhnliche Bürger gekleidet. Fünfzehn von ihnen wurden gefangen genommen & sahen sich mit ihrem Provinzial im Kerker vereint.
In Gesellschaft eines dritten Schülers gelang es Athanasius & Friedrich, die Stadt unbehelligt zu verlassen.
Am 7 . Februar 1622 erreichten sie das Ufer des Rheins bei Düsseldorf. Der Strom war seit kurzem zugefroren, doch Landleute wiesen den drei Wandersleuten eine Stelle, wo das Eis dicker sei und man hinüberkönne – was eine freche, reiner Gewinnsucht entsprungene Lüge war! Es herrschte nämlich der Brauch, alljährlich einen armen Teufel dafür zu bezahlen, dass er übers Eis gehe und so dessen Festigkeit prüfe. Die drei Fremden kamen den Bauern gerade zupass, & so täuschten diese Verbrecher sie mitleidslos, um ein paar Heller zu sparen. In jenen elenden & hässlichen Jahren war das Leben der Menschen &
a fortiori
dasjenige Fremder, noch dazu offenbar feiger Deserteure, weniger wert als ein Kohlstrunk. So bedeuteten die ruchlosen Schurken ihnen eine Stelle, an der, so sagten sie, alle ohne weiteres hinüberkämen. In ihrer Einfalt glaubten die drei Jesuiten den Reden & begannen die Überquerung.
In seinem jugendlichen Schwung & dank seiner durch den Eislauf erworbenen Übung begab sich Kircher an die Spitze der kleinen Gruppe und ging seinen Gefährten rund zwanzig Schritt voraus, um zumindest ihre Sicherheit zu gewährleisten. Das Wetter verschlechterte sich rasch. Dichte Nebelbänke zogen von Norden heran und drohten das Ufer zu verbergen, so dass Athanasius seinen Schritt beschleunigte. Ungefähr in der Mitte des Flusses wurde er entsetzt gewahr, dass die Oberfläche schmolz, so machte er augenblicks kehrt, um seine Kameraden vor der Gefahr zu warnen, doch mit grässlichem Knacken brach das Eis zwischen ihm & seinen Freunden & der Teil, auf dem er sich befand, begann im freien Wasser abzutreiben. Von der Strömung davongetragen & auf seinem Stück Eis lauthals rufend, verschwand Athanasius im Dunst.
Um sein Leben fürchtend, hub der junge Mann von ganzem Herzen an zu beten. Nach gefahrvoller Drift nahte das eisige Floß sich glückhaft wieder dem zugefrorenen Teil des Stroms, & Kircher sprang behände hinauf. Ohne weiteren Verzug schritt er aus, um wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Doch als er rund zwanzig Ellen vom Ufer bereits Gott dem Herrn dafür dankte, letztlich ungeschoren aus einer bösen Lage befreit worden zu sein, brach das Eis vor ihm erneut. Blau gefroren, zerschlagen von mehrern Stürzen, zögerte er jedoch nicht eine Sekunde, warf sich in das eisige Wasser, & nach etlichen Zügen, bei denen er seine ganze Erfahrung als Schwimmer zuhilfe nehmen musste, gelang es ihm, sich ans Ufer zu ziehen, mehr tot denn lebendig.
Triefnass, trommelgleich mit den Zähnen klappernd, marschierte er gen Neuss, wo sich ein Jesuitencollegium befand. Nach drei Stunden wahrhaft martervoller Qualen läutete er dort an der Tür & brach in den Armen des Bruders Pförtner zusammen. Als er wieder zu Sinnen kam, erblickte er zu seiner großen Freude seine Weggefährten, die an einer andern Stelle über den Fluss gelangt waren, ihn schon für tot gehalten hatten & vor Freude weinten, ihn jetzt heil & ganz wiederzusehen.
Nach drei Tagen wohlverdienter Ruhe gelangten sie an einem einzigen Tagesmarsch nach Köln.
Dort dann wurde von Spee zum Priester geweiht. Auf seinen wohlerwogenen Rat hin beschloss Athanasius, seine demütige Fassade abzulegen: Auch wenn sie den Neid des einen oder andern erwecken mochten, waren seine Kenntnisse & sein denkerisches Geschick doch zu wichtig, um verborgen zu bleiben. Innerhalb weniger Monate absolvierte Athanasius also die Philosophie mit glänzendem Erfolg und fuhr derweilen mit seinen privaten Studien der Physik, Sprachen & mathematischen Künste fort. Beeindruckt von seinen das übliche Maß weit übersteigenden Qualitäten, beschlossen seine Lehrer, ihn nach Bayern zu senden, ins Collegium von Ingolstadt, allwo er sich im Studium der humanistischen Wissenschaften vervollkommnen & Altgriechisch unterrichten sollte. Gehorsam den Befehlen seiner Oberen folgend, verließ Athanasius Köln gegen Jahresende 1622 , wenn auch mit zutiefst betrübter Seele: Er musste Friedrich von Spee zurücklassen & mit diesem die letzten
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