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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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geschwollenen Lider und einen kleinen Riss in der Unterlippe hatte ihr Gesicht nichts abbekommen. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab … Sie hielt den Spiegel auf Armeslänge vor sich, um das Gesamtbild zu studieren.
    Nata Suiça Nata
    Suiça Nata Suiça
    Nata Suiça Nata
      GLORIA
    Suiça Nata Suiça
    Nata Suiça Nata
    Suiça Nata Suiça
    Ihr Herz vollführte eine Art schweren Hüpfer. Was auf ihrem T-Shirt stand, ließ sich auch spiegelverkehrt lesen, ergab jedoch einen ganz anderen Sinn, etwas wie eine an sie gerichtete Nachricht: ataN açiuS. Wie hieß noch dieser Typ, von dem ihr Vater früher eine Zeitlang so viel erzählt hatte? Athanasius … Karcher? Kitchener? Ein ziemlich sympathischer Priester, sie hatte immer Fernandel in der Rolle als Don Camillo vor sich gesehen. Die Katzenorgel, die Laterna magica, all das seltsame Spielzeug, das er wie für sie erfunden hatte, stand in allen Farben der Kindheit vor ihrem inneren Auge. In ihrer Kinderphantasie war Athanasius genauso lebendig gewesen wie der Baron von Münchhausen, Robinson Crusoe oder Kapitän Nemo. Trotz der nicht restlos übereinstimmenden Schreibweise des Spiegelbildes verwirrte dieser Zufall Moéma über alle Maßen. Selbst der Markenname wurde in diesem Zusammenhang zu einer der Entzifferung harrenden Hieroglyphe.
    Wohl in einem Analogieschluss fiel ihr die Geschichte ein, die ihr Vater jedes Mal – vor allem nach ein paar Gläsern – zitierte, wenn das Gespräch auf die Zeichen des Schicksals kam. Ein Schriftsteller, dessen Namen sie vergessen hatte, wollte an Bord eines Passagierschiffs namens
Général Lamauricière
gehen, doch meinte er unvermittelt, Adressat einer übernatürlichen Warnung zu sein: Eine angsterfüllte und hellsichtige Sekunde lang hatte er den Namen des Schiffs als »la mort ici erre« gelesen, lautgleich, aber mit ganz anderer Bedeutung: »Hier wandelt der Tod« … Erschüttert beschloss er, das nächste Schiff abzuwarten. Und eine Woche später erfuhr man, dass die
Général Lamoricière
tatsächlich auf ihrer Überfahrt gesunken war … Nachdem er seinem Publikum genügend Zeit gelassen hatte, diese Pointe auszukosten, pflegte ihr Vater noch einen draufzusetzen: Dasselbe sei Samuel Beckett widerfahren: »Kapitän Godot heißt Sie herzlich an Bord willkommen«, habe die Durchsage gelautet, während ein Flugzeug mit Beckett als Passagier zur Abflugposition rollte. Und Beckett zwang das Bordpersonal in seiner Panik umzukehren und ihn aussteigen zu lassen aus dem, was er schon als seinen gewissen Sarg ansah … Dass sich in diesem Fall keine Tragödie ereignete, sah Beckett – so stark ist bisweilen unsere Überzeugung, ein Lebensgeheimnis gelüftet zu haben, und unser Bedürfnis, uns hierin bestätigt zu sehen – nun allerdings gerade nicht als Beweis dafür, dass seine Furcht unbegründet gewesen sei; nein, dank seines Ausstiegs habe er dem Schicksal eine Nase gedreht und die anderen Passagiere im letzten Augenblick gerettet.
    Sollte das, was da im Spiegel zu lesen war, ein ähnliches Phänomen sein, und vor welchem Schiffbruch warnte es sie? Ihr wurde übel, sie versank in wirre Tiefen, in denen das in dem T-Shirt verborgene Rätsel blinkte. Sternennebel zerstäubten in ihrem Hirn, und am Ende einer langsamen Überblendung erklärte Eléazards Gesicht die Botschaft, die zu entziffern sie sich so bemühte: Es war ein Ruf, ein Appell, der ihr das Herz beklommen machte, so sehr, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Nach der Trennung ihrer Eltern hatte sie spontan Partei für Elaine ergriffen, ohne sich eine Sekunde lang zu fragen, was ihr Vater empfinden mochte. Weder hatte sie versucht, ihm zu helfen, noch überhaupt, ihn zu verstehen.
Du musst dein eigenes Leben leben, Moéma
, hatte ihre Mutter erklärt, die sie nicht nach Brasilia mitnehmen wollte,
du musst die Nabelschnur durchtrennen. Es ist nicht gesund, wenn du an meinem Rockzipfel hängenbleibst. Wir werden irgendwann gute Freundinnen sein, du wirst schon sehen, zwei Erwachsene. Aber du musst dich frei machen, genau wie ich, musst leben …
Das Problem, Moéma erkannte es zum ersten Mal, war nur, dass sie sich durchaus nicht erwachsen fühlte, dass sie Sehnsucht nach einem Vater hatte, einer Mutter, nicht nach »Freunden«! Dass Elaine solch einen Unsinn hatte reden können, kam ihr mit einem Mal unglaublich egoistisch vor. Alles wurde verdächtig, sogar ihre Aufforderung, sie beim Vornamen zu nennen, als schämte sie sich, ihre Mutter zu

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