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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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also seiner Frau die Umstände des Auftritts erklärt. Sofort hatte sie getan, als verstünde sie und verzeihe ihm diesen Fehltritt und den damit einhergehenden, demütigenden Skandal; doch am selben Abend hatte sie mit ihrem Whisky eine ganze Packung Gardenal heruntergespült und konnte nur mit knapper Not gerettet werden.
Die Wechseljahre, das kommt häufiger vor, als man denken würde. Seien Sie geduldig, Herr Gouverneur, ein paar Monate, dann ist das vorbei …
Allzu optimistisch, wie immer, der gute Doktor Euclides. Seit bald drei Jahren ging das Theater jetzt schon, und schlimmer noch, es schien sich zu verschlimmern. Neulich war Euclides da Cunha auf die Idee verfallen, ihnen eine Paartherapie beim Psychoanalytiker zu empfehlen! Sie fand das natürlich einen guten Vorschlag; aber was hatte er da zu suchen? Der Doktor wurde allmählich alt … Man müsste sich nach einem neuen umschauen. Ganz diskret, versteht sich.
    Der Buick hielt vor der Außentreppe der Fazenda, und der livrierte Chauffeur eilte um den Wagen herum, um ihm den Schlag zu öffnen, doch der Oberst blieb noch einen Moment sitzen und betrachtete verträumt die Fassade seines Familiensitzes. Das Haus im neoklassizistischen Stil – Moreira hatte keinerlei Beweis für seine stehende Behauptung, es sei nach einem Entwurf des Franzosen Louis Léger Vauthier gebaut – wirkte wie ein kleiner Palast. Das Wohngebäude wurde von zwei symmetrischen, mit einem überdachten Wandelgang verbundenen Flügeln flankiert; über den Balustraden der Beletage ragte ein dreieckiger Ziergiebel empor. Das imposante, dreibogige Tor vor der Außentreppe unterstrich die fürstliche Wirkung des Anwesens. Die in der Abendsonne schrägen Schatten der Königspalmen streiften den Verputz und bildeten zusammen mit den Rundbögen der Fenster ein harmonisches geometrisches Rankenwerk.
    Auf den breiten, mit eleganten Bosketten von Malven, Acanthus und Lorbeer besetzten Rasenrabatten setzte jäh das Staccato der Sprenger ein, von denen ein wirbelnder Wassernebel aufstieg. Der Oberst blickte auf die Uhr: exakt neunzehn Uhr dreißig. Ordnung und Fortschritt! Ja, sie sah prächtig aus, seine
Fazenda do Boi
. Das Inbild der Möglichkeiten, die Brasilien verhieß, ein Symbol für die Aufstiegsmöglichkeiten, die sich ganz wie in Nordamerika noch den einfachsten Bürgern boten, wenn diese nur stärker an ihr Vaterland glaubten als an ihre Götter und eifrig die Tendenz der Natur zur Unordnung bekämpften. Das hatte sein Vater vor ihm getan, und vor dem der Vater seines Vaters, und er tat es seinen Vorgängern nach, auf seine Weise und noch intensiver.
    »Sagen Sie dem Gärtner, er soll heute noch mähen«, bemerkte er unvermittelt zum Chauffeur, der, die Schirmmütze in der Hand, neben der Tür erstarrt war. »Ich will einen echten Rasen, keine Viehweide!«
    Er stieg aus, ohne eine Antwort abzuwarten, und stolzierte die weißen Stufen zum Haupteingang hinauf.
    Ediwaldo, der Majordomus, empfing ihn im Vestibül.
    »Guten Abend, Senhor. Haben Senhor einen guten Tag gehabt?«
    »Einen anstrengenden, Ediwaldo, einen anstrengenden. Wenn du wüsstest, für wie viele Probleme dieses Staates man von mir die Lösung erwartet, und wie viele Idioten sich zusammentun, um die Dinge zu verkomplizieren, jedes Mal, wenn sie allzu einfach zu werden drohen …«
    »Ich kann es mir vorstellen, Senhor.«
    »Wo ist die Senhora?«
    »In der Kapelle, Senhor. Sie wünschte einen Moment der inneren Einkehr vor dem Diner.«
    Die Lippen des Gouverneurs verzogen sich angewidert.
Scheißkapelle! Ein Vorwand, sich mir zu entziehen … Früher hat sie keinen Fuß da reingesetzt … Scheißherrgott, verdammt nochmal! Scheißfrau!
    »Hat sie getrunken?«
    »Ein wenig zu viel, Senhor, wenn Sie erlauben.«
    Ediwaldo sah, wie der Gouverneur die Kiefer zusammenbiss. Eilfertig riss er ein Streichholz an und hielt es ihm hin, da wie aus dem Nichts ein Zigarillo in seinem Gesicht aufgetaucht war.
    »Danke. Sag ihr, ich erwarte sie sofort im großen Salon. Und lass mir einen Whisky bringen, wo wir schon dabei sind …«
    »Cutty Sark, wie üblich?«
    »Wie üblich, Ediwaldo, wie üblich.«
    Langsam erstieg der Oberst die Marmortreppe zur Beletage. Auf dem Absatz vermied er es, sein Bild in dem großen Barockspiegel anzusehen, in dem sich die Flucht der güldenen und rotsamtenen Gesellschaftsräumlichkeiten verlor; mit gutturalen Schnarchlauten schnurrend schlich ihm ein Jaguar entgegen.
    »Jurupari! Meine Hübsche …

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