Wo Tiger zu Hause sind
Lavastrom zu.
Ich sah, wie er unter der glühenden Sintflut auf den Feuerfluss zulief, gestikulierend & hüpfend wie ein Wurf Mäuse; ganz wie ein von Höllenbildern geplagter Besessener, & ich bekreuzigte mich mehrfach, um dies böse Vorzeichen abzuwenden. Von dort, wo ich mich befand, schien mein Meister von Glut & Qualm umgeben, weißer Dampf stieg aus seiner Kleidung, & ich schrie, um ihn zurückzurufen.
Endlich erhörte Gott meine Gebete: Kircher machte kehrt. Seine Füße jedoch schienen während seinem Lauf so stark zu jucken, dass seine Kappe ihm vom Kopfe rollte, & so gelangte mein Meister barhäuptig, aber gesund & munter wieder zu unserem Unterstand. Seine Kutte war nichts mehr als ein vom Feuer geröteter Fetzen, seine Schuhe brutzelten, was das Gestrampel teilweise erklärte, & ich musste sein Haar, das in Fetzen schmolz, mit einem Zipfel meines Umhangs löschen.
Athanasius klopfte mir zum Dank brüderlich auf die Schulter und benutzte mein Chronometer, um seine Untersuchung fortzusetzen. Da er feststellte, dass der Abstand zwischen den Eruptionen immer länger wurde, beschloss er endlich, dieses Pandämonium zu verlassen.
Ohne weitere Schwierigkeiten erreichten wir die Stadt, in der wir den Großteil unseres Gepäcks zurückgelassen hatten. Kircher war in einem jämmerlichen Zustand, seine Füße, seine Hände & sein Gesicht waren voll hässlicher Brandwunden; folglich gönnten wir uns einige Tage Ruhepause, die mein Meister nutzte, um seine Notizen in Reinschrift zu fassen.
Sobald Athanasius’ Wunden verheilt waren, brachen wir nach Syrakus auf. Unser Programm sah eigentlich das Studium der antiken Reste in dieser Stadt vor sowie Besuche in den dominikanischen Bibliotheken von Noto & Ragusa, doch verfolgte Kircher, ohne es mir anzuvertrauen, andere Pläne: Syrakus war die Geburtsstadt des Archimedes, und ich hätte mir schon denken können, dass mein Meister diese Gelegenheit, seinen Genius mit dem des ruhmvollen Mathematikers zu messen, nicht ungenutzt verstreichen lassen würde.
Mehrere Stunden lang erwanderten wir die Wälle von Ortigia oberhalb des Meeres, ohne dass ich begriffen hätte, zu welchem Behufe Athanasius fortwährend Messungen mit dem Astrolabium vornahm, noch was die Notizen bezweckten, mit denen er sein Büchlein füllte. Dann verkroch er sich zwei Tage & eine Nacht in seinem Zimmer, bei Verbot, ihn zu stören, und als er freudestrahlend wieder herauskam, begab er sich allsogleich zu verschiedenen Handwerkern, denen er unverzüglich zu befolgende, genau beschriebene Aufträge erteilte. Während der beiden folgenden Wochen besuchten wir wie vorgesehen die nahen Bibliotheken.
In Ragusa erstand mein Meister bei dem Juden Samuel Cohen diverse Bücher in hebräischer Sprache, die von der Kabbala handelten; & beim Musiker Masudi Jussuf ein Manuskript der ersten
Pythischen Ode
des Pindar, versehen mit einem Transkriptionssystem, das die Originalmelodie zu reproduzieren erlaubte! Er studierte es eingehend, dann verehrte er dieses Werk von unschätzbarem Wert als Geschenk dem Kloster San Salvatore in Messina.
Doch kam der Tag, an dem sämtliche von Athanasius bestellten Materialien geliefert waren, und mein Meister geruhte endlich, mir den Grund dieser geheimnisvollen Vorbereitungen zu enthüllen.
Bei der Belagerung von Syrakus im Jahre 214 vor der Geburt unseres Herrn Jesus Christus gelang es dank der Erfindungen des Archimedes, den Sieg der Römer sehr lange hinauszuzögern. Antiochus von Ascalon & Diodorus von Sizilien zufolge war es diesem bewundernswerten Gelehrten sogar gelungen, die feindlichen Schiffe in Flammen zu setzen, indem er sie mit dem Strahl eines glühenden Spiegels belegte. Die meisten Kommentatoren und Gelehrten unseres Zeitalters behaupteten, es sei unmöglich, einen so machtvollen Spiegel zu bauen, und bezeichneten diese Geschichte folglich als Legende; entgegen der Meinung aller wollte Kircher nun den Archimedes rehabilitieren, und zwar justament an dem Orte, an dem dieser einst die unvergleichliche Kraft seines Genies bewiesen hatte …
»Verstehst du, Caspar, all diese Esel, angefangen bei Monsieur Descartes, um nur den zu nennen, all diese Esel haben recht mit der Behauptung, es sei unmöglich, über eine solche Entfernung mittels Spiegeln etwas in Brand zu setzen: Ein planer Spiegel kann das Sonnenlicht gar nicht genügend bündeln, da er die Strahlen senkrecht zu seiner Oberfläche reflektiert. Rund- oder Parabolspiegel vermögen zwar
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