Wo Tiger zu Hause sind
zusammenschrecken.
»Eléazard?«
Loredana.
»Entschuldige bitte«, sie errötete, »die Haustür stand sperrangelweit offen, niemand hörte mich, und da bin ich einfach hochgekommen.«
»Gut so«, sagte er, verwirrt von ihrem plötzlichen Auftauchen. »Ich … ich habe mich an die brasilianischen Sitten gewöhnt. Hier klatscht man in die Hände, um auf sich aufmerksam zu machen. Das ist wirksamer, als an die Tür zu klopfen, vor allem, weil alle Türen offen stehen. Aber nimm doch bitte Platz.«
»Ist der schön!«, rief sie, als sie den Papagei sah. »Hat er auch einen Namen?«
»Heidegger …«
»Heidegger?«, lachte sie. »Na, du machst Witze … Guten Tag, Heidegger!
Wie geht’s dir, schräger Vogel?
«, sprach sie das Tier auf Deutsch an.
Der Papagei reagierte auf seinen Namen, indem er seinen Kropf blähte und den einzigen Satz zum Besten gab, den er beherrschte.
»Was sagt er?«
»Ferkeleien. Ich habe ihn von einem deutschen Freund aus Fortaleza, der hat versucht, ihm Hölderlin beizubringen,
dichterisch wohnet der Mensch
oder so etwas Ähnliches, aber es hat nicht geklappt. Der dämliche Vogel kreischt einfach
fickerisch wohnet der Mensch
und will sich nicht korrigieren lassen.«
»Warum sollte man ihn denn auch korrigieren?«, fragte sie mit ironisch funkelnden Augen. »Er sagt ja nichts als die Wahrheit. Oder, Heidegger?«
Während sie das sagte, hatte sie sich dem Tier genähert; jetzt kraulte sie ihm sanft und wie altvertraut den Nacken, was Eléazard in den fünf Jahren seines Zusammenlebens mit dem Vogel nicht gelungen war. Dieser gelassene Mut entzückte ihn mehr noch als alles andere.
São Luís, Fazenda do Boi
… nichts als den unzweifelhaften Augenblick.
Als die Limousine des Obersten durch die Einfahrt der Fazenda rollte, nickte der uniformierte Wachmann zum Gruß und schloss eilig das schwere, schmiedeeiserne Tor hinter dem Fahrzeug. Dann rief er den Majordomus an und benachrichtigte ihn, der Hausherr nahe.
Der schwarze Buick rollte flüsterleise über die jüngst frisch asphaltierte Straße, die fünf Kilometer weiter an der Privatresidenz des Gouverneurs endete. Durch die getönten Scheiben sah Moreira die im Abenddämmer dunkelgrün schimmernde Masse der Zuckerrohrfelder. Die schlanken Stängel hatten den Regen genutzt, um noch weiter zu wachsen – über doppelt mannshoch, dachte er voll Stolz –, und die Ernte versprach reich zu werden, auch wenn sie natürlich bloß Kleingeld einbringen würde. Nur aus Sentimentalität baute er es weiter an, im Gedenken an eine Epoche, die einst Vermögen und Ruf seiner Familie begründet hatte, und so erfreute er sich jedes Jahr am Anblick der reifenden Rohre. Bis zu fünf Meter hoch konnten sie werden, und er betrachtete sie nie, ohne an den Dschungel aus Riesenbohnen zu denken, als den er sie in seiner Kinderphantasie gesehen hatte. Nun aber war die Zeit der Märchen vorbei und die der Landwirtschaft ebenso. Nein, Moreira hatte lieber in Bergbau und Garnelenzucht investiert und daneben seine politische Karriere betrieben, wie sein Ehrgeiz es verlangte. Einige Parzellen des gewaltigen, von seinem Vater geerbten Ackerlandes verpachtete er an ungebildete
Matutos
mit ihren überkommenen Sitten, weniger um des Profits willen, den ihm das einbrachte – diese Bauern waren schlauer als die Füchse und betrogen ihn völlig ungeniert! –, als um sie während seiner Ausritte auf den väterlichen Feldern buckeln zu sehen. Sein übriges Land lag brach oder diente der Viehzucht. Genau wie für seine Krautjunker von Vorfahren war es ihm eine Ehrensache, den gesamten Eigenbedarf aus seinem Betrieb zu stillen.
Der Gouverneur schloss die Augen. Der Anblick seiner Ländereien wirkte wie ein Schmerzmittel, das, je näher er der Fazenda kam, die Erschöpfung des Tages immer mehr vertrieb. Sein Wohlbefinden wäre vollkommen gewesen ohne die Aussicht, gleich mit der vorwurfsvollen Miene seiner Frau konfrontiert zu werden und mit den hysterischen Anfällen, die der Alkohol regelmäßig bei ihr auslöste. Seit Mauro zum Studium nach Brasilia gegangen war, war sie nicht mehr dieselbe. Oder eher, seit in der
Manchete
jenes Foto von »Gouverneur Moreira« zu sehen gewesen war, das ihn zerzaust und mit offenem Hemd zeigte, an der Brust einer zweitklassigen Tänzerin knabbernd? Der Rausch des Karnevals, die Cocktails beim Empfang im Rektorat, und dann diese dämliche Wette, zu der Silvio Romero, der Verkehrsminister, ihn aufgefordert hatte … er hatte
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