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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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brennbares Material zu entflammen, aber doch nur auf sehr geringe Entfernung, nämlich am Brennpunkte der Strahlen. Angesichts dieses Problems war zuallervorderst sehr genau zu eruieren, wo einst die Schiffe des Marcellus gelegen hatten. Zieht man die Anordnung der Wälle in Betracht, sodann die Wassertiefe vor der Stadt und die Entfernung, die für eine wirksame Belagerung vonnöten war, also die Faktoren, die ich mit dir in den letzten Tagen berechnet habe, so mussten die römischen Galeeren rund dreißig bis vierzig Schritt vor den Mauern manövriert haben. Ein Parabolspiegel nun müsste unter diesen Bedingungen über einen Durchmesser von einer ganzen Meile verfügen!, was natürlich völlig unvorstellbar ist, auch heute noch. Doch der menschliche Erfindungsgeist ist unerschöpflich, & dem Himmel sei Dank habe ich einen elliptischen Spiegel ersonnen, der, so bin ich gewiss, dort obsiegen wird, wo die anderen von jeher scheitern mussten! Der Kurfürst wird in dreien Tagen hier sein: Ich habe ihn von meinem Projekte unterrichtet, & er hat für den Anlass die größten Namen Siziliens zusammengerufen. So werden sie als Erste dem Wirken dieses
Speculum ustor
beiwohnen, den wir zusammen erbauen werden, mein lieber Caspar, wenn du mir denn deine Hilfe gewähren magst …«
    Unverzüglich machten wir uns an die Arbeit, & nach zweien Tagen ununterbrochenen Werkens, während dem wir eine Unzahl von Holzstücken verleimten, vernagelten und verbolzten, kam ein Karren und transportierte unsere Maschine an den Ort im Hafen, wo die Demonstration erfolgen sollte. Dort angelangt, richteten wir uns ein & bedeckten sie mit einem Tuch, das die Farben des Kurfürsten & seiner Majestät, des Vizekönigs von Sizilien trug. Sodann warteten wir.
    Als sämtliche Gäste versammelt waren, beschwor Athanasius Kircher – der fieberhaft den Wall auf und nieder schritt, ängstlich angesichts des Umstands, dass sein Ruf vom Ausgang des Experiments abhängen würde – die historischen Tatsachen, erläuterte lange seine Theorie & erging sich in bunten Schilderungen der möglichen Nutzungen seiner Maschine, wenn diese denn funktionieren sollte; woran er zu zweifeln schien in Anbetracht der minderen Mittel, über die er verfügte, & des Alterns der Sonne, die, da sie ja seit den Tagen des Archimedes sich 1848  Jahre lang verzehrt hatte, heute gewiss an Kraft verloren hatte. Zur von ihm festgelegten Zeit, also um elf Uhr vormittags, ging vierzig Fuß von dem Orte, wo wir uns befanden, ein großes Fischerboot vor Anker, das Friedrich von Hessen für den Anlass bestellt hatte. Auf den rückwärtigen Aufbau hatte man eine römische Wölfin gemalt, die uns nun als Zielscheibe dienen sollte. Nachdem sich hie & da einige künstliche, jedoch perfekt nachgeahmte römische Legionäre auf Deck verteilt hatten, gingen die Matrosen von Bord. Alsodann lüftete Kircher den Schleier & enthüllte unter allgemeinem Staunensgemurmel die Maschine.
    Es handelte sich bei ihr um einen recht langen, abgeschnittenen, an beiden Enden offenen Konus mit verspiegeltem Inneren; ein recht einfaches System von Rädern und Zahnkränzen erlaubte, es sehr genau überallhin auszurichten. Athanasius betätigte nacheinander mehrere Kurbeln und orientierte auf diese Weise seinen Spiegel so, dass der produzierte Lichtfleck genau ins Ziel traf. Dann warteten wir. Die Stille war so tief, dass man das Plätschern der Wellen am Fuß der Befestigungsanlagen hören konnte. Eine Viertelstunde verstrich, und immer noch hatte sich nichts ereignet. Die Gäste begannen zu tuscheln, Kircher schwitzte in großen Tropfen, regelte ohne Unterlass seinen Lichtstrahl, stets die römische Wölfin im Blick. Angezogen von diesem kuriosen Spektakel, hatte sich Volk hinter den Absperrungen eingefunden & kommentierte laut, was es sah, es lachte & scherzte nach Gewohnheit der Menschen im Süden, wenn etwas ihre Begriffe übersteigt. Bald war eine halbe Stunde ergebnislos vergangen, & auch die Gäste ihrerseits verloren angesichts des fortdauernden Misserfolgs allmählich die Geduld. Da ließ eine wohl vom Funkeln des Spiegels angezogene Möwe einen Klecks fallen, der Kircher nur knapp verfehlte und auf die Maschine klatschte. Das genügte, um allgemeine Heiterkeit auszulösen. Scherzworte flogen Athasius um die Ohren, und ich hörte einen sizilianischen Edlen im Tone tiefster Verachtung bemerken:
    »La merda attira la merda.«
    Kircher wurde purpurrot, als er das unflätige Wort hörte, machte

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