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Wo Tiger zu Hause sind

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Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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hinauszuschreien.

8 . Kapitel
    Fortsetzung & Ende des Geständnisses von Athanasius Kircher. Wo hernach die Villa Palagonia beschrieben wird, deren Rätsel & die merkwürdigen Bewohner.
    D er Anblick dieser Menschen, ich gestehe es«, fuhr Kircher fort, »& der blutenden Thunfische haben mich Norden und Süden verlieren lassen; mir war mit einmal, als wohnte ich einem heidnischen Fest bei, & ich gedachte der unwirklichen Seite des Bildes, da geriet ich fast selbst in den Strudel, den ich verurteilte. Entsinne dich, Caspar, da war der Fisch, Symbol unseres Herrn Jesus Christus, dazu das Blut des Opfers, also Liebe & Tod in einer stürmischen Freude vermischt, der ganze zaubrische Ernst einer heiligen Zeremonie. Plötzlich begriff ich die Trance der Mänaden, von der die alten Texte berichten, & wie sie ein Sinnbild sind für die dunkelsten Seiten unseres Wesens. Der bis zum Wahnsinn getriebene Sinnentaumel, Caspar, das Vergessen all dessen, das nicht Körper & nur Körper allein ist! Eine Sekunde lang wollte mir alles andere nichtig erscheinen. In jenem singenden Manne sah ich den einzigen Priester, der diesen Namen verdient, & im Wüten dieser Fischer die einzig religiöse Art, der Welt anzugehören. Ich fand, unsere Kirche habe sich verirrt, denn sie hat diesen unmittelbaren & sinnlichen Kontakt mit den Dingen verloren, ich meinte, es gebe Gottesnähe allein in der tatsächlichen Gewalt des Lebens, nicht in dessen kindischem Abbild. Derjenige, den wir sonst bekämpfen, der rauschtaumelnde Gott, der »zweifach Geborene«, der allein verdiene unseren Respekt, trotz unserer vergeblichen Mühen, ihn lächerlich zu machen. Dionysos, ja, ihn, Dionysos, müssten wir anbeten, ganz wie unsere Vorfahren es vor uns getan, & ich müsste eine Lanze packen, ich auch, mit der Masse der Leiber verschmelzen, mich im Sprudeln des Blutes vergessen, bis das Opfer ganz und gar gebracht wäre …«
    Athanasius’ Geständnis verwirrte mich zutiefst. In Dingen der Religion hatte mein Meister stets die größte Sicherheit an den Tag gelegt; die Zweifel, welche er mir hier mitgeteilt – und mochten sie auch einer übersteigerten Einbildungskraft entstammen –, zeigten, dass er ebenso anfechtbar war wie der gewöhnlichste Sterbliche auch. Ich liebte ihn nur umso mehr, da er geruht hatte, menschliche Schwäche zu zeigen.
    Drei Tage nach unserer Rückkehr nach Palermo holte ein Gespann uns im Jesuitenkolleg ab und brachte uns zum Fürsten Palagonia.
    Seinem Ruf als Exzentriker getreu, lebte dieser außerhalb der Stadt, nahe einem Dorfe namens Bagheria, das aus nichts als Bauernkaten bestand. Als wir nach einer Reise von mehrern Stunden seine Wohnstatt erblickten, waren wir von deren Gepräge in Bann gezogen … Diese »Villa«, wie die Leute von Palermo sie nannten, war ein kleiner Palast in palladianischem Stil, wie man sie auch im Weichbilde Roms anfinden kann; doch in Wahrheit war es durchaus nicht dieses, was unsere Aufmerksamkeit erregte: Als Erstes trafen uns die Höhe der Umfriedungsmauern & die monströsen Gebilde, die sie ringsum überragten. Man hätte es für ein von allen Ausgeburten der Hölle belagertes Haus halten mögen. Je näher wir kamen, desto genauer erkannten wir die aus Tuffstein gehauenen, wie der Phantasie eines Besessenen nachgeformten Gestalten. Ich bekreuzigte mich unter Anrufung der Heiligen Muttergottes, während Anthanasius das Opfer der größten Verwunderung zu sein schien. Den Gipfel unserer Verblüffung aber erlebten wir beim Anblick der beiden Gnome, die das Eingangsportal flankierten. Der rechte vor allem beeindruckte mich durch sein augenfälliges Barbarentum; nach der anstößigen Wölbung seines Unterleibes zu schließen, handelte es sich um einen sitzenden Priapos, jedoch um einen verdrehten & entstellten. Wie bei den von Herodot geschilderten kopflosen Libyern diente die Brust als Sitz des Kopfes; eines riesenhaften & disproportionierten Kopfes, den zu allem Übel ein langer, pharaonengleicher Spitzbart zierte! Die mandelförmigen Augen dieser Fratze wirkten wie zwei in die Finsternis blickende Schlitze, die darüber sich erhebende Tiara hingegen war mit vier in einem Dreieck angeordneten Pupillen bestückt – mit einer im Zentrum –, deren böser Blick mir das Blut in den Adern gefrieren ließ … Ganz offensichtlich war dieser grässliche Götze von ägyptischen Vorbildern inspiriert, doch verursachte er mir ein Unbehagen, das ich weder angesichts der Bilder an den

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