Wo Tiger zu Hause sind
wissen, wer ihn gekauft hat!«
»Ein Sammler aus São Luís. Offenbar hat er schon ein Dutzend Wagen. Jaguars, Bentleys … Der Kerl im Laden hat mir den Namen nicht verraten wollen.«
»Ich krieg ihn raus. Ich versprech dir, ich krieg ihn raus … Das war Lampiãos Wagen, ist dir das klar? Unserer! … Der hatte kein Recht!«
»Komm schon … Du weißt doch, wer reich ist, hat so viel Recht, wie er will. Und mir hat es erlaubt, den Truck zu behalten. Irgendwann kauf ich den Willys zurück, und dann schenke ich ihn dir. Das schwöre ich dir, beim Kopf von Padre Cícero!«
»Wie viel hast du für ihn bekommen?«
» 300 000 Cruzeiros. Einen Hungerlohn!«
»Genau … Und wenn du ihn zurückkaufen willst, falls es je so weit kommt, musst du drei Millionen hinlegen oder mehr … Ah, die sollen alle verrecken, verdammte Scheiße! Alle sollen sie verrecken, ein für alle Mal!«
»Sag nicht so was, Kleiner. Das bringt Unglück. Trink lieber noch einen Schluck. Komm, auf den Willys!«
»Auf den Willys«, antwortete Nelson traurig.
Sie tranken ihre Chachaça auf ex und spuckten den letzten Tropfen auf den Boden.
»Für die Heiligen!«, sagte Zé.
»Die verfickten Heiligen, die uns wieder mal nicht geholfen haben.« Nelson füllte nach.
»Du sollst nicht lästern! Du weißt genau, das kann ich nicht leiden. Die Heiligen können nichts für das Ganze.«
»Ach nein?«, fragte Nelson ätzend ironisch. »Was können die überhaupt, außer die ganze Zeit Cachaça trinken? Ich glaube, die sind seit Jahrhunderten schon nicht mehr nüchtern gewesen. Die pfeifen auf uns, die Heiligen! Wir sind denen völlig egal.«
Zé schüttelte betrübt den Kopf, fand aber nichts, was er auf die Verbitterung des Jungen hätte entgegnen können.
Schließlich sagte er leise: »Wenn das Meer gegen den Sand kämpft, wer muss dann Wasser schlucken? Die Krabbe.«
Das war ihm einfach so in den Sinn gekommen – plötzlich sah er auch den
Super Convair
DC - 6
vor sich, der den Spruch in gelben Lettern durch den Staub des Piauí kutschierte –, aber er enthielt tatsächlich zum Teil das, was er gern noch deutlicher sagen wollte. Sein Blick fiel auf Nelsons verkümmerte Beine und die langen runzeligen Arme, die aus der Hängematte nach dem Glas angelten, und ihm wurde klar, dass das Bild der Krabbe kränkend sein konnte:
»Ich denk da nicht an dich, nein … Die Krabbe, das bin ich, das sind wir alle. Die Menschen sind alle in Gottes Hand. Verstehst du?«
Nelson antwortete nicht; sie tranken schweigend weiter. Später im Laufe der Nacht stimmt Zé auf Bitten des Aleijadinho, der sich jedoch weigerte, ihn auf der Gitarre zu begleiten, das Lied
João Peitudo, der Sohn des Lampião und von Maria Bonita
an:
Die Erde kreist durch den Weltenraum,
Die Sonne verbrennt uns gnadenlos.
Der eine muss sterben für seinen Traum,
Liebestod ist manch anderer Los.
Doch mag’s ihn auch kränken, mag’s ihm gefallen:
Seinem Schicksal entgeht keiner von uns allen.
Ich will euch eine Geschichte erzählen,
Mit ihr will ich eure Herzen berühren.
Sie berichtet auf ihre Art,
traurig ist sie und könnte euch rühren,
Vom Leben des Lampião, es war voll Mut und sehr hart.
Er focht seinen Kampf, er musste ihn führen …
So ging das weiter, über hundertfünfzig Strophen lang …
Niemand hat sein Schicksal in der Hand
, so schloss der Verfasser dieser antik anmutenden Tragödie, und
man kann nicht glücklich leben im Sertão / wenn man ein Sohn ist des Lampião
.
Im Halbschlaf erinnerte Nelson sich. Wie allabendlich sah er kurz vorm Einschlafen den Bauernhof in Angicos vor sich, wo die Armee Lampião und seine ganze Bande schließlich gestellt hatte. Einen nach dem anderen hatten sie massakriert, und nach der Schießerei posierten die Soldaten für den Fotografen vor den entstellten Leichnamen. Auf einem dieser bereits vergilbenden Bilder – die Jahrmarktsschausteller zeigten sie immer noch neben anderen, ebenso morbiden Attraktionen – hatte er eines Tages den nackten, verrenkten Körper von Maria Bonita gesehen. Zwischen ihren gespreizten Beinen ragte der Pfosten heraus, den die Soldaten ihr in die Vagina gerammt hatten. Neben ihr war Lampiãos Kopf zu sehen, sie hatten ihn auf einen Stein gelegt, damit er dem Schauspiel aus der ersten Reihe beiwohnen konnte: Das Gesicht blutbefleckt, den mit Kieselsteinen vollgestopften Mund unnatürlich weit aufgerissen wegen der zertrümmerten Kiefer, so schien er seinen Hass in alle Ewigkeit
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