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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Sarkophagen noch der grotesken ägyptischen Figuren empfunden hatte, die wir in Aix-en-Provence im Kabinett des seligen Peiresc betrachtet hatten. Ein unschönes Gefühl befiel mich, das sich noch verstärkte angesichts der Eilfertigkeit, mit der die Bediensteten hinter uns die großen Gittertore wieder verriegelten, durch die wir eben hineingefahren waren. All dies verhieß durchaus nichts Gutes für unseren Aufenthalt, & ich etappte mich dabei, die Bereitwilligkeit zu beklagen, mit welcher mein Meister zugestimmt hatte, sich an diesen wenig gastfreundlichen Ort zu begeben.
    »Na, Caspar, ein wenig mehr Zuversicht«, sagte Kircher. »Der Tag ist noch lang, & wenn ich meiner Intuition glaube, wirst du noch alle Kräfte brauchen, um dem zu begegnen, was uns erwartet.«
    Das schmale, amüsierte Lächeln, mit dem er dies sagte, erschreckte mich mehr als alles andere.
    Nachdem wir das Gebäude umrundet hatten, hielt das Gespann vor einer schönen, doppelt gewendelten Treppe, & wir stiegen aus. Ein Lakai führte uns ins Haus, ein anderer lud unser Gepäck ab. Wir wurden in ein recht dunkles, jedoch reichlichst verziertes Vorzimmer geleitet.
    »Ich werde den Fürsten von Eurer Ankunft unterrichten«, sagte der Bedienstete, »bitte, macht es Euch bequem.«
    Er schloss die Tür hinter sich, welche derart perfekt den Marmor der Wände nachahmte, dass ich in große Verlegenheit gekommen wäre, hätte man mich aufgefordert, den Raum zu verlassen …
    »Was auch geschieht, kein Wort!«, flüsterte Kircher mir heimlich zu.
    Ich nickte und bezwang meine Lust, ihm meine Sorgen zu eröffnen.
    Athanasius spazierte durch den Raum. Ringsum an den Wänden waren in al fresco & höchst zierlich ausgeführten Kartuschen allerlei Embleme, Sinn- und höchst dunkle Rätselsprüche zu sehen; so viele, dass es allein Tage gedauert hätte, sie alle zu lesen.
    »Dann wollen wir mal sehen, Caspar, was sagst du zu diesem hier:
Morir per no morir
 – Sterben, um nicht zu sterben? Nichts …? Wirklich nichts …? Dann hast du offenbar den Vogel Phönix vergessen, der in Flammen vergeht, um aus seiner Asche wiederaufzuerstehen … Doch weiter:
Si me mira, me miran
 … Wenn er mich sieht, sehen sie mich. Das ist kaum weniger elementar, und diesen Satz könnte ein Gnom über das Sonnengestirn sagen, aber auch ein Höfling über seinen Herrscher. Ah, hier ist etwas Schwierigeres, aber es ist auch amüsanter! Ich übersetze es dir aus dem Französischen:
Ganz essen wir es, doch, oh unbegreifliches Wunder, halbiert isst der Schlingel uns!
Nun, mein Freund, jetzt streng ein wenig dein Hirn an!«
    Das tat ich schon seit geraumer Weile, ohne anderes Ergebnis als einer aufkommenden Migräne, & wiederum musste ich mich geschlagen geben.
    »Das Huhn, Caspar:
poulet
, und
pou
 – der Floh, verstehst du?«, lächelte mein Meister. Und angesichts meiner entsetzten Miene tat er so, als griffe er eines dieser Tierchen aus seinem Haar, und fuhr fort, ohne mir Zeit zum Verschnaufen zu lassen: »Dann versuche dich an jenem Rätsel, immerhin ist es in unserer Sprache geschrieben:
Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie
. Na?«
    Ich zermarterte mir gut fünf Minuten lang den Kopf, konnte jedoch nicht erkennen, was dieser Neger und diese Gazelle für einen Sinn ergeben sollten!
    »Nun, diesmal hast du sogar recht, denn dieser Satz hat durchaus keinen verborgenen Sinn, jedoch stellt er ein perfektes Palindrom dar und lässt sich folglich vorwärts wie rückwärts lesen. Dieserlei leichtinniges Treiben wurde im alten Rom gepflegt, als es mit seinem Glanz bereits zu Ende ging, & ich wollte nur, die ägyptischen Schriften wären ebenso leicht zu entziffern wie diese kümmerlichen Rätsel …«
    Und er las noch eines vor: »
Elle m’accule & ne macule pas
 … Es umhüllt mich und macht keine Flecken – was meinst du, Caspar? Ist das nicht eine geistreiche Art, das Fell des Tigers mit Worten zu malen?«
    Gerade wollte mein Meister sich einem weiteren Rätsel zuwenden, da kehrte der Diener zurück und bat uns um weitere Geduld; seine Hoheit werde nicht säumen, bitte uns aber, doch Platz zu nehmen. Und er wies uns mit einer Geste einige Sitzgelegenheiten vor einem Gemälde an, das den Fürsten im Jagdkleide zeigte.
    Kaum, dass ich mich setzte, verspürte ich einen heftigen Schmerz: Das Polster meines Sessels war mit kleinen Spitzen gespickt, die in mein Fleisch drangen & mir ein unerträgliches Unbehagen verursachten. Sogleich stand ich auf, so natürlich

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