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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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ging, wenn sie auf einem der Liegestühle auf der Veranda lag und las, oder öfter noch zusammen mit Soledade. Diese diskrete, unvorsehbare Anwesenheit stellte ihn ganz und gar zufrieden; es war, als würde Loredana schon immer mit im Haus wohnen. Eine spontane, leichte Vertrautheit, die sich geräuschlos in ihrer beider Alltag eingefügt hatte.
    Sie hatte es offensichtlich genossen, dass er sie in der Stadt herumführte, für jede bröselige Fassade einen Namen oder eine Anekdote wusste, vor dem grauen Himmel mit großen Gesten und den Fachbegriffen des Baumeisters jedes nur noch als Ruine erhaltene Gebäude wiedererstehen ließ. In seiner Ciceronenbegeisterung hatte er ihr auch die rührende kleine Kirche gezeigt – eine der ersten, die die Missionare je in Brasilien gebaut hatten –, die sich auf einem menschenleeren Inselchen in der Bucht, der Baía de São Marcos, verbarg. Eine unglaubliche Menge von Schlangen bevölkerten sie; in einer Art diabolischer Revanche zwangen sie jedem Winkel des gemarterten Gotteshauses die Schmach ihrer Berührung auf. Die
Insel der Kurzsichtigen
aber und die
Insel der Albinos
hatte er dann doch nicht mehr mit ihr besichtigt, so angewidert hatte Loredana auf diese exemplarische, wenn auch letztlich eher banale Illustration der Gefahren von Inzucht und Isolation reagiert.
    Nach wie vor scheute sie sich, etwas über ihr eigenes Leben und die Gründe ihres Aufenthalts in Alcântara preiszugeben – und er mochte auch gar nicht mehr erfahren als das, was sie freiwillig erzählen würde –, erwies sich aber als unerschöpfliche Quelle in allem, was mit China zu tun hatte, ein Thema, über das sie aus eigener Anschauung bestens Bescheid wusste. Gewissenhaft betrieb sie die Lektüre von Caspar Schotts Manuskript; in kleinen Portionen, und nach dem zu schließen, was Eléazard zu verstehen glaubte, auch, um eine Neugier zu stillen, die sich eher auf ihn selbst denn auf Athanasius Kircher richtete. Sie teilte ihm ihre Überlegungen mit, schilderte die Schwierigkeiten, auf die sie bei der Lektüre gestoßen war, eine Arbeit, die es Eléazard ermöglichte, seine Anmerkungen zu verbessern, oder ihn zwang, bestimmte Passagen zu kommentieren, bei denen er das zuvor nicht für nötig befunden hatte. Ohne sie wäre er zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, es könnte notwendig sein, einem potentiellen Leser zu schildern, was für eine Geißel der Dreißigjährige Krieg bedeutet hatte oder wie geradezu exotisch es für einen Menschen des 17 . Jahrhunderts gewesen sein musste, Italien zu entdecken. Schließlich schrieb er seine Anmerkungen so, als richteten sie sich ausschließlich an Loredana, und ließ sie erst gelten, wenn sie sie kritisch durchgesehen hatte.
    Diese Nähe mochte etwas Wundersames haben, sie blieb dennoch vorübergehend. Allerdings weigerte Eléazard sich, es so zu sehen; er verhielt sich diesem Glück gegenüber, als würde es ewig dauern. Später sollte er sich vorwerfen, eine Begegnung nicht ausgeschöpft zu haben, von der er die ganze Zeit gewusst hatte, dass sie nur auf Zeit bestand.
    Er hatte ihr derart viel von Euclides erzählt, seinem einzigen Freund in der Gegend, dass sie sich grundsätzlich bereit erklärt hatte, ihm eines Tages zu begegnen; an diesem Morgen aber, da er Loredana zum Mittagessen beim Doktor abholen wollte, wussten weder Alfredo noch Soledade zu sagen, wo sie abgeblieben war. Ganz verstimmt, was er am Ende selbst als ebenso absurd wie übertrieben erkannte, nahm Eléazard den Bus nach São Luís.
     
    »Ich versichere Sie, er ist ein durch und durch kultivierter Mann. Ja, vielleicht ein wenig ländlich. Zu wenig Geschmack, gewiss. Aber das gilt für so gut wie jedermann, und ich weiß nicht, wer das Gegenteil für sich in Anspruch nehmen dürfte, ohne dass dies wiederum Beleg für eine ebenso unangenehme Selbstgerechtigkeit wäre.«
    Eléazard verzog zweifelnd den Mund.
    »Ja, ich weiß, ich weiß«, fuhr Doktor Euclides lächelnd fort, »er ist nicht gerade ein Linker. Das stört Sie, nicht wahr?«
    »Das ist kein Euphemismus mehr, Doktor, das ist schon Sarkasmus!«, sagte Eléazard, aber er lächelte ebenfalls. »Übrigens haben Sie wahrscheinlich recht: Ich kann mir nicht vorstellen, was ich bei so jemandem soll, es sei denn, ihn vor seinen sämtlichen Gästen beleidigen …«
    »Na, na, na … Solche Dummheiten machen Sie nicht, dafür sind Sie zu gut erzogen. Sehen Sie es einfach als einen Gefallen, um den ich Sie bitte. Sie betreiben ein

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