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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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von ihm selbst fehlte jede Spur. Er war bei Caroline und ihre Mutter bei Clea. Sie ging am Krückstock und musste sich einer Physiotherapie unterziehen, nur weil sie, Skye, ein Monster ins Haus gebracht hatte. Simon war in Boston, in Restaurants wie das Biba mit seinem kühnen künstlerischen Dekor zurückgekehrt, aber er würde sich wegen Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung vor Gericht verantworten müssen. Doch das berührte Skye nicht. Sie liebte ihn nicht mehr. Sie brauchte ihn nicht – nicht mehr. Stattdessen hielt sie sich an ihren Vater. Sie hatte sich unlängst ausgemalt, mit seinem Geist zu trinken. Sie hatte laut mit ihm geredet und ihm erzählt, was sie empfand, hatte ihn um Verzeihung gebeten.
    Es klopfte an der Tür. Überrascht, da sie erwartete, dass Caroline und Joe einfach hereinspazierten, warf sie einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Ihr Gesicht wirkte aufgedunsen, sie hatte Ringe unter den Augen, und ihre Haare waren wirr wie ein Rattennest. Auf der Vorderseite ihres Pullovers erspähte sie einen dunklen Fleck, aber das war ihr egal. Langsam ging sie zur Tür, jedes Gelenk in ihrem Körper schmerzte.
    Es war Joe. Er stand auf der Veranda an der Vorderseite des Hauses, alleine. Skye blickte sich nach Caroline um.
    »Hallo!«
    »Hallo. Wo ist Caroline?«
    »Zu Hause. Darf ich reinkommen?«
    Skye hielt die Tür auf. Wortlos trat Joe ein und ging an ihr vorbei. Er wartete, bis sich Skye daran erinnerte, ihn in die Küche zu bitten.
    »Was ist los? Alles in Ordnung mit ihr?«
    »Ihr geht es gut«, sagte Joe, mit Blick auf die Flasche. Skye errötete. Sie hatte keinen einzigen Schluck daraus getrunken, aber die letzte halbe Stunde hatte sie nichts anderes getan als sie angestarrt.
    »Möchtest du etwas trinken?«
    »Skye, hättest du nicht Lust, mich zu einem AA -Treffen zu begleiten?« Inzwischen duzten sie sich alle. Seine Stimme klang ruhig, gelassen und freundlich.
    » AA ?«
    »Anonyme Alkoholiker.«
    »Bist du einer?«
    »Ja.« Er lächelte.
    »Woher wusstest du das? Was hat dich veranlasst, Hilfe zu suchen?«
    »Ich wollte nicht mehr so weitermachen. Nicht mehr trinken.«
    »Ich habe alles so satt.« Skye dachte an die Flasche, daran, dass sie die ganze Nacht trinken konnte, ohne sich betrunken zu fühlen, und nichts den Schmerz zu vertreiben vermochte. Sie dachte an ihren Revolver, Kaliber.22. Sie hatte eine Weile nicht mehr nachgesehen, ob er sich noch im Schuppen hinter dem Haus befand, aber in den letzten eineinhalb Tagen hatte sie sich oft vorgestellt, wie es wäre, damit das Gleiche zu tun, was sie einem jungen Mann auf einem Bergpfad angetan hatte.
    »Mir erging es ähnlich«, sagte Joe. »Ich hatte es satt, alles satt zu haben.«
    »Du hast es erfasst.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Genauso fühle ich mich.«
    »Niemand zwingt dich, solche Gefühle zu haben. Was ist, kommst du mit?«
    Skye ließ ihren Blick durch die Küche wandern. Da waren die Handabdrücke aus Ton, die sie in der ersten Schulklasse für ihren Vater gemacht hatte, und die Büste ihrer Mutter, die aus ihrer High-School-Zeit stammte. Da waren die Fotos von ihr und ihren Schwestern, in rot karierten Mänteln, aufgenommen an einem Thanksgiving-Wochenende, bevor sie zur Jagd auf dem Redhawk Mountain aufbrachen. Und ein Bild von ihrem Vater, das letzte, das ihn lächelnd zeigte. Kurz darauf hatte sie Andrew Lockwood erschossen. Den Rest seines Lebens hatte er im Zustand der Trunkenheit verbracht.
    »Dad«, sagte Skye.
    »Er würde wollen, dass du damit aufhörst.«
    »Ich habe das Gefühl, als würde ich ihn verraten.« Sie sah Joe trotzig an. »Ich liebe ihn.«
    »Warum auch nicht? Er ist schließlich dein Vater.«
    »Alle geben ihm die Schuld.«
    »Trotzdem ist er dein Vater.«
    Skye nickte. Genauso sah sie es auch. Vor den Jagdausflügen, bevor der verhängnisvolle Schuss gefallen war, war er ihr Ein und Alles gewesen. Er hatte sie zeichnen gelehrt, sie auf der Schulter getragen und zum Schwimmen an den Strand mitgenommen.
    »Das ist kein Verrat, Skye.« Joe streckte die Hand aus. Sie nahm das Foto ihres Vaters und drückte es an ihre Brust. Sie hatte Angst, das Haus zu verlassen. Ihr Vater und sie waren sich sehr ähnlich gewesen, Künstler, die Fehler im Umgang mit den Menschen gemacht hatten, die sie liebten, und die tranken, weil sie den Schmerz nicht mit ansehen konnten, den sie ihnen zugefügt hatten.
    »Komm mit, Skye. Bitte!«
    Sie holte tief Luft und stellte das Foto ihres Vaters

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