Wo Träume im Wind verwehen
ein neues Leben. Aber sie hörte nie auf, Hugh Renwick zu lieben, und sie war nie für Joe da gewesen, wenn er sie brauchte.
Obwohl seit der Tragödie viele Jahre vergangen waren, kannte er nicht die ganze Geschichte, die mit dem Tod seines Vaters verbunden war. Die Renwicks waren die Einzigen, die wussten, was sich in ihrem Haus wirklich abgespielt hatte. Als strenggläubige Katholikin hatte seine Mutter sogar die Tatsache, dass er seinem Leben von eigener Hand ein Ende bereitet hatte, so lange wie möglich unter den Teppich gekehrt. Das Versteckspiel und die Schuldgefühle, die sie wegen ihres Seitensprungs und der fatalen Folgen für seinen Vater empfand, hatten die Wahrheit in ein düsteres Geheimnis verwandelt, das sie mit ins Grab nahm. Joe spürte, wie Bitterkeit in ihm aufstieg. Er hätte am liebsten kehrtgemacht und Caroline gebeten, ihm die Fragen zu beantworten, die ihn quälten. Doch die vielen Jahre des Schweigens standen zwischen ihnen.
Er bog in den sandigen Parkplatz am Moonstone Point ein und stellte seinen Pick-up direkt neben dem Büro des Dockmeisters ab. Die Hälfte der Fahrzeuge, die auf dem verwahrlosten Gelände standen, gehörte Joes Crew, und die Nachzügler trafen nun ein. Die meisten befanden sich bereits auf der
Meteor,
dem Forschungsschiff, das seine Männer als »Mutterschiff« bezeichneten. Über CB -Funk setzte sich Joe mit dem größten Beiboot in Verbindung.
»Meteor,
hier Patriot Eins, wir sind auf dem Dock. Over!«, sagte er ins Mikrofon.
»Roger! Alles klar, Patriot«, ertönte eine Stimme. »Wir holen euch. Over!«
»Aber dalli, wenn’s geht.« Joe spürte wieder den alten Druck in seiner Brust. »Ich bin schon so lange hier, dass ich mir wie eine Landratte vorkomme. Over.«
»Keine Bange, Skipper. Wir sind schon unterwegs. Over und Ende.«
Joe schaltete das Funksprechgerät aus, lehnte sich im Sitz zurück und wartete. Er hörte zu, als Bill die Fundstelle beschrieb, die sie früher am Tag in Augenschein genommen hatten. Das Projekt versprach aufregend zu werden. Joe begann sich automatisch zu entspannen, als er tief die salzige Luft einatmete.
Vergeudetes leben, zerstörte Hoffnungen. Mit dem gesunkenen Schiff kehrte die Macht von Träumen zurück, die so alt waren wie die Menschheit. Sie hatten die Lebenswege eines Schiffskapitäns und seiner Gefährten bestimmt. So sah Joe es: Den Schatz an Bord eines gesunkenen Schiffs zu heben kam einer persönlichen Begegnung mit den Toten gleich, mit ihren Familien, ihren Gewohnheiten, ihren brüchigen alten Skeletten.
Er hörte den Motor des Beiboots aufheulen und das Schwappen der Wellen gegen den Rumpf. Joe nahm seine Kartentasche und seinen Seesack und stieg aus dem Wagen. Die See war dunkelgrau und kabbelig. Am Horizont türmten sich dichte Wolken. Ein großer Mako-Hai pflügte durch die Wellen und schlängelte sich an das Hafenbecken heran.
Dan Forsythe, der Fahrer des Beiboots, trug eine orangefarbene Öljacke über seinen Khakishorts. »Hallo, Käpten!«, rief er.
»Hallo, Dan!« Joe kletterte die Leiter hinunter. Es herrschte Ebbe, der Meeresspiegel befand sich auf seinem tiefsten Stand, und das Gefälle zwischen Dock und Wasseroberfläche war groß. In Gedanken war Joe schon bei der Arbeit, berechnete die morgigen Gezeiten und Strömungen, dachte an die Bergungsaktion.
»Raue See. Ich hoffe, das macht uns keinen Strich durch die Rechnung«, meinte Dan. »Wollen wir morgen versuchen die Schonertakelung achtern zu stabilisieren?«
»Nur wenn sich der Boden nicht verschoben hat«, antwortete Joe.
Sie legten ab und fuhren durch den Hafen, in dem sich zahlreiche Vergnügungsdampfer befanden, aufs offene Meer hinaus. Nach und nach gingen die Lichter in den Häusern entlang der Küste an. Joes Blick wurde davon angezogen wie ein Magnet; er konnte nichts dagegen tun.
Er versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber Black Hall lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Welches Licht gehörte zu Firefly Hill? Er wischte sich die salzige Gischt aus den Augen und musterte die Salzmarschen und Felswände aus Granit. Die Häuser glitten vorüber, und Joe dachte an Caroline, an die Schatten und den Kummer in ihren wunderschönen graublauen Augen, an ihre Unerbittlichkeit und an ihre Geheimnisse. Er hatte sie zum ersten Mal gesehen und konnte sie nicht mehr aus seinen Gedanken verbannen.
Aber das war ihm noch nie gelungen.
»Sag schon, wie ist er denn so?«, fragte Skye.
»Kann Mom dich hören?« Clea wollte sichergehen,
Weitere Kostenlose Bücher