Wo Träume im Wind verwehen
beschwichtigende Worte zu finden, die Skyes vom Alkohol verzerrten Kummer lindern und sie dazu bringen würden, schlafen zu gehen. Doch bevor sie den Mund aufmachen konnte, hatte Skye den Hörer aufgelegt.
Clea saß stumm da und dachte nach, was sie nun tun sollte. Ob Skye etwas Verrücktes anstellen würde? Bitte geh ins Bett, betete sie. Geh schlafen, Skye. Als sie die Treppe hinaufstieg, beschloss sie, nach ihren Kindern zu sehen. Lange Zeit hatten sie und ihre Schwestern die Vergangenheit erfolgreich verdrängt. Sie hatten sich eine Beschäftigung gesucht, die sie rund um die Uhr forderte, um der Notwendigkeit zu entgehen, sich ihr stellen zu müssen. Clea hatte eine Familie, die sie brauchte. Und wenn ihre Familie glücklich war, gestand sie es sich auch zu. Glück hatte eine läuternde Wirkung.
Auf Zehenspitzen betrat sie die Zimmer ihrer Kinder und küsste sie, ohne sie aufzuwecken. »Träum was Schönes«, flüsterte sie Maripat ins Ohr und wünschte, die Träume ihrer Tochter wären frei von Angst. Sie küsste Mark und wünschte ihm das Gleiche. Plötzlich hatte Clea das Gefühl, dass sie Skye sofort anrufen musste. Panik stieg in ihr auf, sodass sie sich mehrmals verwählte.
Augusta war am Apparat. Clea hörte die Wärme und Zufriedenheit in der Stimme ihrer Mutter, weil sich eine ihrer Töchter meldete, trotz der späten Stunde und obwohl der Anruf Skye und nicht ihr galt. Sie eilte zur Treppe, um ihre Jüngste ans Telefon zu rufen. Nach einer Weile kehrte sie zurück und sagte, Skye melde sich nicht, vermutlich sei sie weggegangen. Clea spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Ihre Hände fühlten sich klamm an. »Danke, Mom«, sagte sie und blies Küsse in den Hörer, als wäre alles in bester Ordnung. Dann rief sie Caroline an.
»Ich glaube, ich habe gerade etwas Dummes gemacht. Ich habe mit Skye telefoniert. Sie war völlig außer sich, und ich fürchte, sie hat sich ins Auto gesetzt und ist zum Dock hinuntergefahren. Sie ist betrunken.«
»Du hast sie einfach auflegen lassen?«
»Was hätte ich denn sonst machen sollen?«
»Ich weiß. Tut mir Leid. Es ist nicht deine Schuld.«
»Aber ich mache mir trotzdem Vorwürfe«, sagte Clea.
Die Stadt war klein. Jeder kannte Skye, und man benachrichtigte Caroline. Sie sagte umgehend Clea Bescheid und raste ins General Hospital, das sich an der Küste befand. Alle drei Renwick-Schwestern hatten dort das Licht der Welt erblickt. Da sie nicht wusste, was sie erwartete, versuchte sich Caroline mit klopfendem Herzen Mut zu machen, indem sie sich vor Augen hielt, dass Skye in dieser Klinik geboren war.
»Sie lebt«, teilte ihr der Polizist mit.
Caroline nickte. Ihre Knie wurden schwach vor Erleichterung.
»Sie ist sturzbetrunken. Anders kann man sich den Unfall nicht erklären. Sie wird sich wegen Trunkenheit am Steuer verantworten müssen.«
Caroline las das Namensschild – Officer John Daugherty. Sie kannte ihm vom Sehen, da er in der Stadt Streife fuhr, und manchmal kam er mit seiner Frau zum Abendessen in ihren Gasthof. »Haben Sie meine Schwester gefunden?«
»Ja, habe ich.«
»Vielen Dank.«
»Sie hat unverschämtes Glück gehabt. Das Auto ist der reinste Schrotthaufen; sie hätte mausetot sein können.«
Sie standen draußen vor der Eingangstür zur Notaufnahme. Es wehte eine sanfte, warme Sommerbrise. Streifenwagen fuhren im Eiltempo vor, mit lautlos blinkendem Blaulicht, als wäre das Krankenhaus Schauplatz eines Verbrechens. Officer Daugherty hatte gutmütige Augen und eine ruhige Stimme. In seinem Ton schwang das leise Bedauern mit, das Caroline von den Polizisten kannte, die manchmal in den Gasthof gekommen waren, um ihr mitzuteilen, dass man Hugh betrunken am Steuer aufgegriffen habe.
»Dass sie lebt, hat sie nur dem Gelände zu verdanken«, sagte er. »Sie ist mit Tempo 120 von der Fahrbahn abgekommen. Gott sei Dank befindet sich neben der Moonstone Road Sumpfland. Die Räder sind im Morast versunken und haben durchgedreht. Trotzdem hatte sie genug Geschwindigkeit drauf, um die Leitplanke umzunieten und einen Totalschaden an ihrem Wagen zu verursachen.«
»Moonstone Road sagen Sie?«
»Ja. Sie war auf dem Weg zum Dock. Ich weiß natürlich, dass sie mit Simon Whitford verheiratet ist, aber das war nicht der Name, den sie genannt hat, als ich an die Unfallstelle kam.«
»Und wie lautete der Name?«
Der Officer senkte die Stimme, auf Diskretion bedacht. »Joe«, sagte er. »Sie hat nach jemandem verlangt, der Joe
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