Wo Träume im Wind verwehen
schleppenden Südstaaten-Akzent lachend. Er hatte einen gehetzten Blick und einen Ton, der seinen Worten oft eine herablassende Note verlieh. Joe spürte, wie ihm die Wut auf den Magen schlug, und hatte das Gefühl, Caroline verteidigen zu müssen, ohne zu wissen, warum.
»Hör mir jetzt genau zu. Wenn du dich betrinken willst, dann nicht im Renwick Inn. Und wenn du an der Reihe bist, dort zu übernachten, halt dich von Caroline und ihren Schwestern fern!«
»Schwester«, korrigierte ihn Bill. »Ich hab nur eine gesehen.«
Es gibt zwei, dachte Joe, sich an Carolines Briefe erinnernd. Doch er hielt es nicht für nötig, Bill davon in Kenntnis zu setzen.
»Ich werde es noch einmal jedem einzeln einbläuen, nicht nur dir, dass die Renwicks absolut tabu sind. Sagen wir, es sind Freunde der Familie.«
»Schon kapiert. Aber trotzdem sind sie scharf wie die Hölle. Ein Jammer!«
»Finde ich auch.«
Sie näherten sich dem Wasser. Je salzhaltiger die Luft wurde, desto leichter fiel Joe das Atmen. Auf hoher See fühlte er sich stets wie befreit. Alles, was ihn an das Land band, alle Probleme und Sorgen fielen von ihm ab. Er genoss die Bewegung der Wellen unter seinen Füßen und das Gefühl, dass der Wind und die Gezeiten mehr Macht besaßen als der Mensch. Das war immer so gewesen, seit damals, als er die Brieffreundschaft abgebrochen hatte, die ihn mit Caroline verband. Er hatte vor dem Leben die Flucht ergriffen und eine Refugium auf dem Meer gefunden.
Die Straße wurde kurvenreich, die Küste zerklüftet. Joe fragte sich insgeheim, wie Firefly Hill wohl aussehen mochte, der Ort, an dem sich sein Vater erschossen hatte. Er konnte ihn auf der Karte ausmachen – hatte es Millionen Mal getan –, aber ihm physisch so nahe zu sein, ließ ihn erschauern.
Auf den USGS -Karten war die kleine Stadt Black Hall eingezeichnet und die Spitze der Landzunge, die wie ein angewinkelter Ellbogen in den Long Island Sound ragte; sie hieß Hubbard’s Point. Firefly Hill war ein winziger Strich auf der Karte, das Apostroph in »Hubbard’s Point«, die höchste Erhebung an der Küstenlinie zwischen New London und Fairhaven. Firefly Hill war der Name, den die Familie dem Privatstrand gegeben hatte. Joe erinnerte sich an Carolines Erklärung, dass es dort Feuerfliegen statt eines Leuchtturms gab.
Joe hatte in sechs oder sieben Weltmeeren getaucht, ein Vermögen damit verdient und sagenhafte Kunstschätze gehoben. Aber die
Cambria
war sein Heiliger Gral, sein Atlantis. Während der letzten Bergungsaktion im Bosporus, als seine Laderäume mit türkischem Gold und ganzen Fässern mit russischen Rubinen gefüllt waren, hatte er in seiner engen Kabine gesessen und sich die Nächte damit um die Ohren geschlagen, die Schatzsuche im Wrack der
Cambria
bis ins Kleinste zu planen. Anschließend hatte er sich die Bergungsrechte für das havarierte Schiff gesichert und seine Ausrüstung, seine Mannschaft und seine Flotte in die Gewässer nördlich von Florida gebracht.
War der Grund der, dass die
Cambria
vor der Küste von Black Hall gesunken war? In Sichtweite von Firefly Hill? Während Joe angestrengt auf die in Nebel gehüllten Serpentinen vor ihm blickte, dachte er: Black Hall sollte auf den Seekarten mit einem Totenkopf und gekreuzten Gebeinen markiert sein. Er hätte vielleicht weniger heftig reagiert, wenn er damals nicht jedes Mal so glücklich gewesen wäre, den Poststempel der kleinen Ortschaft auf Carolines Briefen zu sehen. Er war verbittert, weil sie ihn hintergangen und ihm die Wahrheit vorenthalten hatte. Aber sie hatte schon vor langer Zeit mit ihrem Brief sein Interesse für die
Cambria
geweckt, und nun war er hier. Im Renwick-Territorium.
Die Renwicks hatten sein Leben geprägt, mehr, als ihm lieb war. Hugh Renwick war nach Newport gekommen, um zu malen. Joes Mutter hatte damals ein Zubrot in einer Hummerfabrik verdient, eine einfache, hübsche Fischersfrau mit rauen Händen und wunden Füßen vom langen Stehen, und als der Maler mit der Staffelei auf dem Dock sie gefragt hatte, ob sie nicht ein Glas mit ihm trinken wolle, hatte sie sich geschmeichelt gefühlt.
Die Affäre war nicht von langer Dauer gewesen, doch für seine Mutter war es Liebe auf den ersten Blick. Als sein Vater dahinter kam, brach es ihm das Herz. Sie trauerte ihr ganzes Leben einem Mann nach, den sie nicht haben konnte, und im Verlauf der Jahre und Ereignisse war sie bitter geworden. Sie heiratete später noch einmal, bekam einen weiteren Sohn und begann
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