Wo Träume im Wind verwehen
Anwesenheit des Hundes half, seinen Frieden mit der Welt zu machen. Sie erkannte es daran, wie er seine Augen schloss und das Hier und Jetzt von sich abgleiten ließ. Er machte die Augen nicht wieder auf.
»Einen großen Strauß«, sagte Joe Connor zu der Frau an dem Blumenstand neben der Straße.
»Nur Zinnien und Sonnenblumen, oder wollen Sie auch Wildblumen?«
»Alles.«
Er sah ihr zu. Sie stand unter dem gelb-weiß gestreiften Sonnenzelt und zog einzelne Blüten aus großen mit Wasser gefüllten Eimern. Schwergewichtig und braun gebrannt, trug sie ein verblichenes rotes Hauskleid und hatte ein Kopftuch um die braunen Haare gebunden. Sie runzelte die Stirn. Einer unglücklichen Frau bei der Arbeit zuzuschauen, erinnerte Joe an seine Mutter.
»Haben Sie die Blumen selbst gepflückt?«, fragte er.
»Ja, und gepflanzt auch«, antwortete sie und lächelte stolz.
»Sie sind schön.« Joe griff in seine Tasche. Der Strauß kostete fünf Dollar, und er reichte ihr einen Zwanziger. Sie machte Anstalten, ihm das Wechselgeld herauszugeben, aber Joe schüttelte den Kopf. Die Frau spähte zu ihrem Mann hinüber, doch der saß auf einem Stapel Milchkartons und war in die Sportseite vertieft. Sie bedankte sich mit einem Kopfnicken, steckte das Geld aber in den Karton mit dem Bargeld statt in ihre Tasche.
»Sie sollten Ihre Frau zum Essen ausführen!«, rief Joe.
Der Mann blickte ihn verdutzt an und brummte dann etwas vor sich hin. Joe hätte ihm am liebsten einen Fausthieb verpasst, der ihn von den Milchkartons fegte.
»Gehen Sie in ihr Lieblingsrestaurant, und bestellen Sie Hummer.«
»Klar, Mann! Sonst noch was?«
Joe brauste davon. Er hatte Probleme im Dunstkreis unglücklicher Frauen. Er hasste es, wenn Frauen die Stirn runzelten. Er hatte mit ansehen müssen, wie sich seine hübsche, lebenslustige Mutter in eine verbitterte, vom Leben gezeichnete und enttäuschte Frau verwandelte, in einen Schatten ihrer selbst. Sie hatte Doppelschichten in der Hummerfabrik gearbeitet und in ihrer Freizeit vergebens darauf gewartet, dass Hugh Renwick anrief. Und sie hatte sich in Schuldgefühlen vergraben, als ihr Mann tot war. Nach einigen Jahren, in denen sie todunglücklich gewesen war, hatte sie wieder geheiratet.
Joe hätte am liebsten wild um sich geschlagen und alle, die seine Mutter jemals verletzt hatten, einen Kopf kürzer gemacht – die Besitzer der Hummerfabrik, die ihr eine Knochenarbeit aufbürdeten, zu hart für eine Frau; Hugh Renwick, weil er seiner Mutter und seinem Vater das Herz gebrochen hatte. Joes Vater war in der Küche der Renwicks gestorben, ohne Freunde und ganz allein. Und was war mit der goldenen Uhr? Sein Vater hatte sie getragen, als er starb; er hatte sie Joe immer zum Spielen gegeben, aber seine Mutter hatte sich nie die Mühe gemacht, sie zurückzufordern. Die fehlende Uhr war ein Symbol all dessen, was Joe verloren hatte.
Um nach allem, was geschehen war, mit Caroline befreundet zu bleiben, hätte es eines Wunders bedurft. An Joes siebzehntem Geburtstag hatte ihn sein Onkel Marty auf eine Sauftour mitgenommen. Joe war noch minderjährig, aber das war nicht der springende Punkt. Sie hatten auf Barhockern gesessen und Whiskey gekippt, und zu vorgerückter Stunde hatte ihm sein Onkel die Wahrheit über den Tod seines Vaters gestanden. Er sei vor lauter Eifersucht nicht mehr bei Sinnen gewesen, habe sich mitten in der Küche der Renwicks umgebracht, im Beisein der Kinder. Caroline hatte also mit angesehen, wie sein Vater starb, hatte seine letzten Worte gehört.
Wie konnte jemand, der sich als Freund bezeichnete, ihm dieses Wissen vorenthalten, zumal es eine solche Tragödie in seinem Leben war? Seine Freundschaft mit Caroline war ein für alle Mal zu Ende. Der Whiskey hatte damals den Schock der Erkenntnis gedämpft, und so sorgte Joe dafür, dass er auch weiterhin reichlich floss. Er suchte Vergessen auf dem Meer, bei seiner Forschungsarbeit, im Alkohol, um seine Empfindungen, seine Wut zu verdrängen. Später gab er Letzteres auf, aber das Meer und die Arbeit boten ihm immer noch eine Fluchtmöglichkeit.
Joe verdrängte den Gedanken an die Frau am Blumenstand und erledigte seine Besorgungen. Es galt, Vorräte für die
Meteor
einzukaufen, Briefe zur Post zu bringen, Päckchen zu verschicken. Seine Taucher hatten Holzsplitter gesammelt und Rost abgekratzt, die er zur Analyse nach Woods Hole sandte, um das Alter des Schiffs zu bestimmen. Für heute hatte er geplant, das Wrack zum ersten
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