Wo Träume im Wind verwehen
es vorzog, in ihrem Gasthof zu trinken, konnte er Carolines Gegenwart nicht ertragen. Es hatte Michele in der Seele wehgetan, mit anzusehen, wie sie Zugang zu ihm gesucht hatte, wie sie sich immer wieder bemüht hatte, mit ihm zu reden. Er reagierte ungehalten, sogar streitsüchtig auf ihre Annäherungsversuche, als hätte sie ihn stets aufs Neue an sein Versagen erinnert, das Kostbarste in seinem Leben zu schützen. Mehr als einmal hatte Michele ihn sagen hören, er habe Skyes Leben zerstört
Drei seiner Bilder hingen in der Bar. Hugh hatte sie gemalt, als seine Töchter klein waren. Schwungvoll und unverfälscht, ließen sie keinen Zweifel aufkommen, wie sehr er seine Kinder geliebt hatte. Es waren Jagdszenen vom Redhawk Mountain, und in jeder war eines der Mädchen in einer anderen Jahreszeit dargestellt, mit einem anderen erlegten Tier und einer anderen Waffe. Clea hielt im Frühling eine Regenbogenforelle in der einen und eine Angelrute für künstliche Fliegen in der anderen Hand. Skye posierte in einer Herbstlandschaft mit einem großen Jagdmesser und einer sich windenden Schlange.
Die Jagdszenen waren meisterhaft, aber das Winterbild von Caroline verschlug dem Betrachter den Atem. Sie wiegte einen kleinen Rotfuchs in den Armen. Blut tropfte aus seiner Schnauze. Auf dem Berg lag Schnee, und Carolines Wangen waren gerötet. Der Wind hatte ihr die schwarzen Haare ins Gesicht geweht, aber ihre Augen blickten durch den Vorhang hindurch, waren klar, blau und verstört. Ihre linke Hand umklammerte das Gewehr, mit dem sie den Fuchs getötet hatte. Ihr Vater hatte das Mitleid und die Reue, die sie empfand, in dem Bild eingefangen; die Liebe zu seiner ältesten Tochter überflutete das Porträt. Michele bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ihr Blick darauf fiel.
Caroline trat aus ihrem Büro. Sie hatte ihre Brille mit den Halbgläsern aufgesetzt, die ihr das Aussehen einer Bibliothekarin mit Sex-Appeal verlieh.
»Was ist denn das für eine Nachricht?«, fragte sie mit einem flüchtigen Blick auf ein Blatt Papier.
»Moment«, sagte Michele und las, was sie aufgeschrieben hatte. »Ach ja, der Typ kam in aller Herrgottsfrühe und hat ziemlich komplizierte Erklärungen hinterlassen, wie Telefonate zwischen Festland und Schiff funktionieren. Ich glaube, es war einer der Seeleute, die gestern Abend hier waren und sich in der Bar einen genehmigten. Sie haben Zimmer sechs und neun, aber ich schätze, jetzt ist er draußen auf seinem Schiff.«
»Hat er gesagt, was er wollte?«
»Nein. Nur, dass du anrufen sollst.«
»Danke.« Caroline ging in ihr Büro und schloss die Tür.
Caroline wählte die Nummer der Hafenzentrale und bat, mit der R/V
Meteor
verbunden zu werden. Während sie wartete, blickte sie aus dem Fenster auf den Ibis River und die Silberreiher, die im flachen Wasser auf und ab stelzten. Ein Eisvogel näherte sich im Sturzflug und tauchte, und sie verrenkte sich den Hals, um zu sehen, was er an die Oberfläche beförderte.
»Hier Forschungsschiff
Meteor.
Over«, ertönte eine Männerstimme. In der Leitung knisterte es infolge der atmosphärischen Störungen.
»Hochsee-Vermittlung hier. Ich habe einen Anruf für einen Mr. Joe Connor.«
»Moment«, sagte der Mann.
Eine Minute verging, dann war Joe am Apparat. Die Vermittlung klinkte sich aus.
»Caroline hier. Ich habe deine Nachricht erhalten.«
»Alles in Ordnung mit deiner Schwester?«
»Warum fragst du?« Caroline war verblüfft, dass er bereits Bescheid wusste.
»Sie hat gestern Abend im Hafenbüro eine Nachricht hinterlassen, dass sie mich sofort sehen müsse. Es sei wichtig.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nicht persönlich. Sie hat gesagt, sie sei auf dem Weg, aber sie ist nicht aufgetaucht. Ich wusste nicht, wo sie zu erreichen ist. Deshalb habe ich bei dir angerufen.«
»Sie ist im Krankenhaus.«
»O Gott, nein! Was ist passiert?«
»Sie hatte einen Autounfall.«
»Wie schrecklich. Ist sie okay?«
»Kann man noch nicht sagen.« Carolines Augen füllten sich mit Tränen. Seine Stimme klang mitfühlend. Mit ihm über Skye zu sprechen machte ihr wieder bewusst, dass sie sich einmal sehr nahe gestanden hatten. Von Freundschaft konnte keine Rede mehr sein, aber die Erinnerung an ihren Briefwechsel war machtvoll.
»Warum wollte sie mich sehen? Weißt du das?«
»Sie war durcheinander.« Caroline hatte keine Lust, ihm Einzelheiten zu erzählen.
»Tut mir Leid. Richte ihr doch bitte aus, dass ich ihr gute Besserung
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